Die Kritik an CETA inkl. der zahlreichen
Zusatzerklärungen, veröffentlicht von Corporate Europe Observatory im
November dieses Jahres, ist nun auch auf deutsch verfügbar! Bei der
übersetzten Version sind Attac, Campact und Powershift Mitherausgeber.

Ihr könnt diese fundierte Broschüre ab sofort als PDF herunterladen unter:

http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/ttip/Der_grosse_CETA_Schwindel.pdf

Hier die "6 Schwindel", die in dem Papier aufgedeckt werden:

Schwindel Nr. 1: CETA schützt die Rechte von ArbeitnehmerInnen

Schwindel Nr. 2: CETA ist ein ein guter Deal für Umwelt und Klima

Schwindel Nr. 3: CETAs Investorenrechte schützen staatliche Regulierungen
zum Schutz von Umwelt, Klima und Gesundheit

Schwindel Nr. 4: CETA schützt öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheit
und Wasser

Schwindel Nr. 5: CETA schafft einen unabhängigen Gerichtshof für
Investor-Staat-Klagen

Schwindel Nr. 6: CETA sichert Standards zum Schutz von Mensch und Umwelt
30.12.2016 aus jW

 

Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof hat bestätigt: EU-Handelsabkommen müssen von allen 28 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden

 

Andreas Fisahn

 

In den politischen und juristischen Auseinandersetzungen um die EU-Handelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) ging es auch um die Frage, wer diese und ähnliche Verträge beschließen kann. Die EU-Kommission vertrat die Auffassung, dass Handelsabkommen in die ausschließliche Kompetenz der Europäischen Union fallen. Das hätte zur Folge gehabt, dass nur EU-Institutionen, das heißt das Parlament und der Rat, den Abkommen zustimmen müssen. Dagegen haben die EU-Mitgliedsstaaten eingewendet, dass umfassende Handelsabkommen wie CETA und TTIP auch Politikbereiche betreffen, die in ihren eigenen Kompetenzbereich fallen. Es handele sich deshalb um »gemischte Abkommen«. Die Folge ist, dass zusätzlich alle Gesetzgebungsorgane der 28 Mitgliedsstaaten, also die jeweiligen Parlamente, den Verträgen zustimmen müssen.

Welche Bedeutung die konträren Auffassungen haben, zeigte sich beim Drama um die Zustimmung der Wallonie zur Unterzeichnung von CETA Ende Oktober 2016. Der Position der EU-Kommission folgend, wäre die Zustimmung der Wallonie zu CETA nicht erforderlich gewesen. Nur wenn man CETA als gemischtes Abkommen charakterisiert, musste der belgische Gesetzgeber, der sich aus den Parlamenten der beiden Landesteile zusammensetzt, zustimmen. Die Wallonie hat hart verhandelt und ihre Zustimmung zur Unterzeichnung von Ergänzungen zum Vertragstext abhängig gemacht. Gefordert hatte die Regierung der Wallonie soziale Verbesserungen und die Berücksichtigung regionaler Interessen. Die Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrages ist jedoch nur der erste Schritt, am Ende des Vertrages steht die Ratifizierung durch formelle Beschlüsse der Gesetzgebungsorgane. Das letzte Wort über die Zuständigkeit war noch nicht gesprochen.

Schon im September 2013 unterzeichnete die Europäische Union einen »Freihandelsvertrag« mit Singapur, was in der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieb. Der Streit, wer Vertragspartner dieses Vertrages ist, wer ihm also zustimmen muss, wurde schon zu diesem Zeitpunkt virulent. Die Kommission wollte die Frage juristisch klären und bat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um ein Gutachten zu dem Kompetenzstreit. Bei den Verfahren vor dem EuGH legt der Generalanwalt vor der Entscheidung des Gerichts einen Schlussantrag vor, mit dem die Rechtslage ausführlich gewürdigt wird. Der europäische Gerichtshof folgt in vielen Fällen dem Schlussantrag seiner Generalanwälte. Kurz vor Weihnachten hat die Generalanwältin Eleanor Sharpston ihre Auffassung zu den Kompetenzen im Falle des Handelsabkommens mit Singapur dargelegt. Sie meint, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt. Es gebe einige Regelungsmaterien, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, andere fielen jedoch in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten. Dazu gehörten die Bestimmungen über den Handel mit Luftverkehrsdienstleistungen sowie allgemein Dienstleistungen, über den Schiffsverkehr, andere Investitionsarten als ausländische Direktinvestitionen, Bestimmungen über das öffentliche Beschaffungswesen, über das geistige Eigentum, Bestimmungen mit grundlegenden Arbeits- und Umweltnormen, die zum Bereich der Sozialpolitik oder der Umweltpolitik gehören, sowie die Schiedsgerichte.

Ganz ähnlich hat am 13. Oktober das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es entschied über Eilanträge, mit denen die vorläufige Anwendbarkeit von CETA verhindert werden sollte. Im Ergebnis ließ das Gericht zu, dass CETA vorläufig angewendet wird, das heißt vor der Ratifizierung durch die Parlamente. Aber es machte diese vorläufige Anwendbarkeit von Bedingungen abhängig. Die Bundesregierung sollte sicherstellen, dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass CETA Regelungen enthält, die in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen. Diese können in Deutschland nicht vorläufig angewendet werden, weil das deutsche Rechtssystem eine solche Möglichkeit nicht vorsieht. Folgerichtig kann der Beschluss über die vorläufige Anwendbarkeit sich nicht auf diese Regelungsmaterien beziehen.

Für die Kritiker von CETA ist die Einschätzung der Generalanwältin ein positives Signal. Folgt der EuGH ihr, kann weiter auf nationaler Ebene Einfluss auf die Entscheidung der Parlamente genommen werden, und die gesellschaftliche Auseinandersetzung um CETA bleibt sinnvoll, weil das Ergebnis durchaus offen ist.

 

Andreas Fisahn ist Professor für öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht sowie Rechtstheorie an der Universität Bielefeld

Eine Analyse zur TTIP-ablehnenden Bewegung legt nahe, wie das mit der demokratischen Teilhabe nicht gemeint war

Sie ist vorbei, die Ruhe im Karton, die über Jahrzehnte der neoliberalen Globalisierung hinweg in den Industrieländern geherrscht hat. Die Erzählung des „wir machen das schon“, die aus den oberen Etagen der Systemverwaltung herausdrang, verfängt nicht mehr so ohne Weiteres. Hierzulande, wo mit Agenda 2010 und der krisenpolitisch beauftragten schwäbischen Hausfrau, die nun in ganz Europa ihr Unwesen treiben darf, das neoliberale Dogma noch einmal so richtig durchgesetzt werden konnte, hat der kräftige Widerstand in Sachen TTIP und entdemokratisierendem Freihandel jedoch offenbar die Eliten aus Politik und Wirtschaft einigermaßen entgeistert.

Das belegt nun noch einmal eine jüngst veröffentlichte Studie des wirtschaftsliberalen European Center For International Political Economy (ECIPE), dessen Arbeit sich als (uncharmant gemeinter) Rückblick zum erfolgreichen Widerstand gegen das angedachte Großprojekt in Sachen Freihandel lesen lässt.

In „Manufacturing Discontent: The Rise to Power of Anti-TTIP Groups“ [1] dokumentieren die Autor_innen auf rund 150 Seiten recht akribisch, was wann wo von wem in Sachen öffentliche Meinungsbildung zu TTIP unternommen wurde und wie dies aus Sicht der Etablierten einzuordnen ist. Die Ressourcen für die Studie wurden also eingesetzt, um einen derart erfolgreichen Widerstand gegen neoliberale Globalisierung und demokratische Erosion nicht ein zweites Mal zuzulassen. Offenbar nicht sonderlich begeistert über die negative Haltung der Bevölkerung besonders in Deutschland zum „modernen Handelsvertrag“ und proklamierten Beschäftigungswunder [2] TTIP versucht die Befürworterseite dringend eine Erklärung für das „Nein Danke“ aus weiten Teilen der Bevölkerung zu finden. Man ist es eben nicht gewohnt, dass das, was man (man = die „Entscheidungs- und Verantwortungselite“) als „vernünftig“, „notwendig“ und „alternativlos“ erkannt hat, nicht mehr mit braver Duldsamkeit hingenommen wird.

Nachfolgend bieten wir für Interessierte ein paar übersetzte und kommentierte Auszüge aus der Studie an, schließlich ist es immer gut, auch die Perspektive des Gegenübers zu kennen, besonders, wenn dieses Gegenüber meint, die Welt nicht nur für sich, sondern ganz besonders alle anderen Betroffenen in eine bestimmte Richtung gestalten zu müssen. Zum European Center For International Political Economy [3] sei noch gesagt, dass es sich um einen dem Selbstverständnis nach führenden Think Tank in Sachen interationaler Handel und Befürwortung wirtschaftsliberaler EU-Politik handelt. Mitbegründet wurde es von Fredrik Erixon, einem schwedischen Ökonomen, der Berater der britischen Regierung, sowie Chefvolkswirt bei Timbro, einem „free market think tank“ war.  Norbert Häring [4], durch den ich auf die Studie aufmerksam wurde, weiß noch zu ergänzen: „Nur damit Sie jetzt nicht denken, ECIPE sei ein unwichtiger Haufen von Dilettanten: Das Steering Committee bilden ein ehemaliger Vizegeneralsdirektor der Welthandelsorganisation, ein früherer Chef der Vorgängerinstitution GATT, ein schwedischer Ex-Minister und der Vorsitzende der Pariser Eliteuni Sciences Po.“

Kennzeichen der Anti-TTIP-Gruppen, wie sie in der Studie bezeichnet werden, ist (eigene Übersetzung):

Ihre Argumentation ist widersprüchlich und logisch inkonsistent. Ihre Botschaften zielen darauf ab, den auf Alltagsdenken basierenden protektionistischen Forderungen allgemein schlecht informierter Bürger und Politiker zu dienen. Dabei basiert die Anti-TTIP-Kommunikation auf metaphorischen Botschaften und weit hergeholten Mythen, um die Emotionen der Bürger zu erregen. Diese Gruppen dominierten gemeinsam mehr als 90 Prozent der Berichterstattung der Online-Medien über TTIP in Deutschland.1 [5]

Und wie machen sie das?

Die stärkste Waffe der TTIP-Gegner ist Ideologie, während die politischen und ökonomischen Interessen der Befürworter gespalten sind, was eine konzertierte Aktion zur Beförderung des Abkommens verhindert. […] Ähnlich wie andere populistische Gruppen beruht beides, sowohl die Art und Weise der Argumentation, wie auch die Art und Weise des Ausdrucks der Anti-TTIP-Gruppen auf klassischer, und dennoch populärer, grün/linker politischer Glaubenslehre [„doctrine“, Anm. d. Verf.], die auf frustrierte Anti-Establishment-Wähler und -Geldgeber abzielt […]2 [6]

Und weiter:

So haben orchestrierte panikmachende, erfundene Mythen und systematische Übertreibungen negativer Folgen…

…nein, die Autor_innen referieren hier nicht auf die Irak-Lügen über „Massenvernichtungswaffen“ oder die demographische Untergangspropaganda zur Demontage der gesetzlichen Rente [7]

…moderner Handelsabkommen für die Gesellschaft nicht nur ein negatives Licht auf TTIP und andere Handelsabkommen geworfen; die Botschaften der Anti-TTIP-Gruppen offenbaren auch einen doppeldeutigen Kult um den Staat (in Bezug auf Staatsführung und staatliche Institutionen), indem sie die Rolle von Institutionen des öffentlichen Interesses verehren als jene von den eigentlichen Erzeugern des gesellschaftlichen Wohlstands und Schützern der Vernunft und wertvollen nationalen und kulturellen Normen.3 [8]

Und natürlich darf nicht fehlen, dass, wer den wenig rücksichtsvollen Wirtschaftsliberalismus mit der Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit, den er für viele Menschen produziert, nicht unterstützt, automatisch zum Steigbügelhalter der Rechten wird:

Mit anderen Worten, die Tatsache, dass Anti-TTIP-Gruppen die EU-Handelspolitik attackieren, diskreditiert die Politik der Europäischen Union – ganz zu schweigen vom europäischen Projekt – als Ganzes, was Wasser auf die Mühlen für nationalistische Bewegungen ist, deren primäre Botschaft es ist, dass nationale Interessen in Brüssel verkauft werden.4 [9]

Achtung, (ungewolltes) Lob gibt es auch:

Der größte Anteil, was Deutschlands gigantischen Überschuss in Hinblick auf die Ablehnung von TTIP anbelangt – und das ist das Hauptergebnis dieser Analyse – wird durch zwei Phänomene erklärt: 1.) eine super vernetzte, effektiv koordinierte Kampagnenbewegung gegen TTIP in Deutschland, die noch immer orchestriert wird durch Deutschlands grünes und linkes politisches Parteien- und NGO-Etsablishment, und 2.)die Stille und abwartende Mentalität der TTIP und Handel befürwortenden Parteien, Unternehmen, Unternehmensverbände und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die entmutigt und niedergeschlagen das Feld denjenigen überließen, die in der Sprache des Risikos, der Gefahr und der Opferrolle gesprochen haben.“5 [10]

Vielleicht sollten die TTIP-Gegner_innen wirklich darüber nachdenken, Spenden an die Business-Lobby zu übersenden, man muss ja Sportsgeist beweisen. Zudem würde es dazu dienen, wieder die „richtigen“ Erzählungen zu etablieren, diese scheinen gemäß Autor_innen nämlich allmählich ins Hintertreffen zu geraten in Anbetracht einer Finanzkrisen erschütterten Welt, die erneut das historische Maximum in Sachen Ungleichheitsentwicklung erreicht (ups, aber das ist ja „weit entfernt von empirischen Befunden“):

Die beteiligten zivilgesellschaftlichen NGOs und Gewerkschaften wurden geradezu revitalisiert durch die Verbreitung einer Krisen- und Ende-des-Kapitalismus-Mentalität. Ihre Narrative sind so schlicht, ideologisch und weit entfernt von empirischen Befunden, dass man naiver Weise daran glaubt, dass eine bloße Blockade der TTIP-Verhandlungen zur ökonomischen Konvergenz und sozialen Entwicklung in den EU-Mitgliedsstaaten beitragen könnte, ganz zu schweigen von den Entwicklungsländern.6 [11]

Und dann nehmen sich die TTIP-Gegner auch noch heraus, mit lauter Stimme zu sprechen, obwohl sie nicht die geringste Ahnung haben, schließlich sind sie ja keine Unternehmer…

Die Leiter, Kampagnenmanager und Spin-Doktoren der Anti-TTIP-Gruppen behaupteten wiederholt, ausreichend qualifiziert zu sein, um >>TTIP Expertise<< in öffentlichen Anhörungen und den Medien zu stellen. Sie behaupten außerdem, qualifiziert zu sein, Expertise dafür bereitzustellen, wie Geschäfte [„business“, Anm. d. Verf.] durchgeführt werden oder durchgeführt werden müssen in einer immer stärker globalisierten Welt. Es ist somit auffallend – nahezu ohne Ausnahme – dass keiner der in Deutschland aktivsten Anti-TTIP-Sprecher auf eine Karriere in privaten Unternehmen zurückblicken kann, ganz zu schweigen von Institutionen, die unabhängig von Steuergeld sind.7 [12]

Komisch, beim ifo-Instut und beim „Sachverständigenrat“ [13] macht es den Businessvertretern doch auch nichts aus, wenn steuerfinanzierte Personen mit Professorentitel sich zu Wort melden, ok, solange diese der Steuersenkung und Sozialbeitragssenkung für Unternehmen [14] das Wort reden.

Doch nun erfahren wir, wer einzig und allein bei der Globalisierung und ihren Auswirkungen mitreden darf:

[…] sie waren niemals professionell engagiert im privaten Unternehmenssektor, wo Einkommen basiert auf Risiken, Mut und professionellen Fähigkeiten, die über das politische Campaining hinausreichen.8 [15]

Polemisch könnte man sagen, es gehört eben Mut dazu, Risiken für andere einzugehen, um das eigene Einkommen zu steigern, und nur, wer dazu bereit ist, kann auch die Globalisierung in die gewünschte Richtung gestalten. Die TTIP-Gegner_innen hingegen haben das nicht verstanden…

Durch die Ausbeutung politischer Macht, die auf der Negativdarstellung beruht, ist es ihr ausschließliches Ziel, faire, ausgeglichene und historisch erprobte Regeln für die treibenden Kräfte der individuellen und gesellschaftlichen Freiheit und des Wohlstands schlechtzureden: private Unternehmen, konkurrenzbasierte Märkte und internationalen Handel.9 [16]

Und damit der Wohlstand von morgen gesichert ist, es nicht erneut zu einer Überraschung in Sachen Demokratie, die nicht gemeint ist, kommt, und ein „Weiter so“ wie in den letzten Jahrzehnten ermöglicht wird, das flammende Abschlussplädoyer an die Zielgruppen der Studie:

[…] es ist Zeit die Anti-TTIP-Propaganda in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Staaten herauszufordern. Die Freunde von offenen und pluralen Gesellschaften, die Gegner der Isolation und die Unterstützer der TTIP-Verhandlungen sollten nicht schlecht informierte, häufig ängstliche Protestler auf den Straßen verantwortlich machen, sondern die „Pupperspieler“ der Protestkampagnen konfrontieren. Es ist höchste Zeit, die Kampagnenmanager der Anti-TTIP-Gruppen zur Rechenschaft dafür zu ziehen, dass sie die Emotionen der Bürger hervorrufen durch das Verbreiten von Mythen und Beiträge zu Anti-TTIP-, Anti-Globalisierungs-Hassreden [„hate speech“, Anm. d. Verf.] im Internet und darüber hinaus.10 [17]

Fazit: Wenn solch Feuereifer aus den Etagen der großen Gestalter der letzten Jahrzehnte nicht ein Erfolgsausweis für die Gegner_innen des neoliberalen „Weiter so“ hierzulande ist, dann weiß ich auch nicht. Also, weiter so!

 

  1. Original: „Their reasoning is contradictory and logically inconsistent. Their messages are targeted to serve common sense protectionist demands of generally ill-informed citizens and politicians. Thereby, anti-TTIP communication is based on metaphoric messages and far-fetched myths to effectively evoke citizens’ emotions. Together, these groups dominated over 90 percent of online media reporting on TTIP in Germany.“ [ [18]]
  2. Original: „TTIP opponents’ strongest weapon is ideology, while proponent’s political or economic interests are divided, preventing concerted action in support of the agreement. […] Similar to other populist groups, both the way of reasoning and the way of expression of anti-TTIP groups rests upon classical, though still popular, green and left-wing political doctrines aiming to snatch frustrated, anti-establishment voters and donors […]“ [ [19]]
  3. Original: „Thus, orchestrated fearmongering, invented myths and the systematic exaggeration of the negative implications of modern trade agreements for society not only shed a bad light on TTIP and other trade agreements; anti-TTIP groups’ messages also reveal an ambivalent cult of the state (in terms of the government and governmental institutions), worshipping the role of national public institutions as creators of societal welfare and protectors of decency and valuable national and cultural norms.“ [ [20]]
  4. Original: „In other words, the fact that anti-TTIP groups attack EU Trade Policy discredits the politics of the European Union – let alone the European Project – as a whole, putting grist to the mills for nationalist movements, whose prime message is that national interests are being sold out in Brussels.“ [ [21]]
  5. Original: „The largest proportion of Germany’s gigantic surplus in aversion to TTIP – and this is the main finding of this paper’s analysis – is explained by two phenomena: 1) a super-connected, effectivelycoordinated campaign movement against TTIP in Germany, which was and still is orchestrated by Germany’s green and left-wing political party and NGO establishment, and 2) the silence and wait-and-see mentality of pro-TTIP and pro-trade political parties, businesses, business associations and civil society groups who, disheartened and discouraged, left the field to those speaking the language of risk, danger and victimhood.“ [ [22]]
  6. Original: „Affiliated civil society NGOs and labour unions were literally revived by the dissemination of crisis and end of capitalism mentalities. Their narratives are so simplistic, ideological and distant from empirical evidence that it would be naive to assume that simply blocking TTIP negotiations would contribute to the economic convergence and social development of EU countries, let alone developing countries.“ [ [23]]
  7. Original: „Anti-TTIP groups’ directors, campaign managers and spin doctors repeatedly claimed to besufficiently qualified to provide “TTIP expertise” to public hearings and the media. They also claim to be qualified to provide expertise on how business is conducted or must be conducted inan ever more globalised world. It is striking though that – almost without exception – none of Germany’s most active anti-TTIP speakers can look back to careers in privately-run enterprises, let alone an institution independent from taxpayer money.“ [ [24]]
  8. Original: „[…] they never professionally engaged in private-sector businesses where compensation is based on risks, courage, and professional skills that go beyond political campaigning.“ [ [25]]
  9. Original: „By exploiting the political power of going negative, their exclusive aim is to badmouth fair, balanced and historically-proven rules for the driving forces of individual and societal freedom and prosperity: private sector businesses, competitive markets and international trade.“ [ [26]]
  10. Original: „[…] it is time to begin to challenge anti-TTIP propaganda in Germany, Austria and other European countries. The friends of open and pluralist societies, opponents of isolation and supporters of TTIP negotiations should not blame ill-informed and often anxious protesters on the streets, but confront the protest campaigns’ “puppet masters”. It is high time to hold anti-TTIP groups’ campaign managers accountable for evoking citizens’ emotions by spreading myths and for contributing to anti-TTIP, anti-globalisation hate speech on the Internet and beyond.“ [ [27]]

 

 

 

Beitrag gedruckt von Maskenfall: http://www.maskenfall.de

Da das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA nicht zustande kommen will, setzt die Europäische Union jetzt alles auf CETA, das Abkommen mit Kanada. Doch als Freihandelspartner scheidet auch Kanada aus

 

Von Werner Rügemer

Wahrscheinlich kommt der Freihandelsvertrag TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union erst einmal nicht zustande. Umso mehr setzen sich die Europäische Kommission und die deutsche Regierung für CETA ein: Dieses Abkommen mit Kanada wäre "TTIP durch die Hintertür". Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Es reicht allein, sich den Vertragspartner Kanada einmal genauer anzusehen.

Streikverbote

CETA-Befürworter wie der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel argumentieren, dass Kanada die meisten Kernnormen der Internationalen Arbeits­organisation (ILO, International Labour Organization) ratifiziert habe, das sei doch ein gutes Zeichen.

Richtig ist: In Kanada gelten sechs der acht Kernnormen. Es gilt nicht die Norm über ein Mindestalter für eine entlohnte Beschäftigung. Vor allem: Es fehlt die Norm zum Recht auf Organisation und kollektive Tarifverhandlungen (ILO-Norm C-98). Die ultrakonservative Regierung von Ministerpräsident Stephen Harper setzte zwischen 2006 bis zu ihrer Abwahl Ende 2015 ein halbes Dutzend Gesetze gegen Streiks durch, etwa gegen Eisenbahner, gegen Postler und gegen Beschäftigte der Fluggesellschaft Air Canada. Das ist staatlich erzwungene Rückkehr der Beschäftigten zur Arbeit. Ein Gesetz von 2013 schränkt Streiks ein, wenn "öffentliche Interessen" berührt werden - wobei die Regierung allein feststellen kann, welche Interessen gemeint sind. Ebenso stoppen Gesetze Einkommenserhöhungen im öffentlichen Dienst, auch Provinzregierungen haben solche Gesetze durchgesetzt.

Das bedeutet: Wenn der praktische Hebel zur Durchsetzung fehlt, wenn also vor allem keine kollektiven Tarifverhandlungen möglich sind und dafür notfalls auch nicht gestreikt werden kann, dann sieht es für theoretisch geltende Arbeitsrechte schlecht aus.

Großer Niedriglohnsektor

Die weniger schöne Seite der Arbeitsverhältnisse zeigt sich auch an anderer Stelle, wenn wir nämlich die weiteren ILO-Normen einbeziehen. Diese 177 "technischen" Normen werden von Wirtschaftsminister Gabriel - übrigens auch vom DGB - nie genannt, sind aber wesentlicher Bestandteil des klassischen Arbeitsrechts in den westeuropäischen Staaten.

Kanada gehört mit den USA zu den Staaten, die die wenigsten dieser Normen ratifiziert haben: nur 26 von 177. Im Vergleich: Deutschland hat 73 ratifiziert. Kanada hat zum Beispiel folgende Normen nicht ratifiziert: Entschädigung bei Berufskrankheiten und Invalidität; Arbeitsrechte für Migranten, Landwirtschafts- und Heimarbeiter; Sicherheit und Gesundheit in Landwirtschaft und Bergwerken; Schutz vor radioaktiven Strahlen, chemischen und krebsverursachenden Stoffen am Arbeitsplatz sowie vor Lärm, Erschütterung und Luftverschmutzung; Mutterschutz; Eingliederung Behinderter; bezahlte Weiterbildung; Verfahren zur Festlegung eines Mindestlohns.

Die Harper-Regierung hat zudem die Zahlungen an Arbeitslose abgesenkt. Saisonarbeiter werden gezielt aus Mexiko und der Karibik hereingeholt, haben geringe Rechte und werden nach Ende der Saison rigoros zurückgeschickt. Kanada hat einen höheren Anteil an Niedriglöhnern als die westlichen Industriestaaten, wie die Initiative "Living Wage Canada" aufrechnet. Auch die normal Beschäftigten werden gedrückt: "Wir haben zehn Jahre auf jegliche Lohnerhöhung verzichtet", sagt Jerry Dias, der Vorsitzende der größten Gewerkschaft im Privatsektor, Unifor.

Vorreiter für Investorenrechte

Kanada ist seit den 1980er Jahren Juniorpartner der USA bei der Durchsetzung eines neuen Typs von Freihandelsabkommen - das erste stammt von 1988. Der Begriff "Freihandel" ist hier irreführend. Es geht im Wesentlichen nicht mehr um die klassische Freihandelsfrage, nämlich um die staatlichen Zölle auf transnational gehandelte Waren. Vor allem geht es um Investitionen im jeweils anderen Staat und um die Rechte der privaten Investoren.

1994 erweiterten die USA und Kanada ihr Abkommen auf Mexiko: Im Nordamerikanischen Freihandelsvertrag (NAFTA) wurden zum ersten Mal in einem multinationalen Vertrag die verbindlichen privaten Schiedsgerichte verankert: Vor ihnen können Beschäftigte, Gewerkschaften, Städte oder Staaten nicht klagen, sondern nur Investoren - denn nur deren Rechte werden verbindlich und sanktionsbewehrt geregelt. NAFTA enthält auch den Schutz der Investoren vor "indirekter Enteignung": Wenn die "erwarteten" Gewinne durch staatliche Maßnahmen (Umweltauflagen, Mindestlohnerhöhung und mehr) eingeschränkt werden, können Investoren die Staaten auf Schadenersatz verklagen.

Manche fragen sich: Was bedeutet in der Abkürzung CETA der Begriff "comprehensive", zu deutsch "umfassend"? Er bedeutet genau das, was NAFTA schon seit 22 Jahren ausmacht: Es geht am wenigsten um die klassische Zollfrage zwischen Staaten, sondern vor allem um die Rechte der privaten Investoren und deshalb auch um Privatisierung, Patent- und Markenschutz und (möglichst unverbindliche) Arbeitsrechte.

Meistverklagter Staat der Welt

scheidet

Mit NAFTA wurde der nordamerikanische Kontinent für die Interessen der Finanzeliten der drei beteiligten Staaten reguliert. Der Handel verdreifachte sich: Zum einen durch das Hin- und Herschicken der Vorprodukte zu und von den ausgelagerten Zulieferfirmen Mexiko und Kanada, vor allem für die US-amerikanische und japanische Autoindustrie; zum anderen durch den großindustriellen Export: Die USA exportieren Mais und Fleisch, Kanada exportiert Rohstoffe (Öl, Mineralien, Holz und Autos) Mexiko exportiert Halbprodukte und Textilien. "NAFTA hat Kanada die industrielle Basis genommen", stellt Maude Barlow vom Council of Canadians fest.

NAFTA ermöglichte es Ölkonzernen - vor allem aus den USA -, in Kanada die Techniken der Öl- und Gasförderung aus Sand und Gestein zu entwickeln (Fracking). Die Konzerne dankten es nicht: Sie verstießen auch gegen die wenigen Umweltauflagen und verklagten Kanada seit 1994 zwei Dutzend Mal auf Schadenersatz. Kanada wurde zum meistverklagten Staat der Welt. Dann zogen sie sich schrittweise aus Kanada zurück und wenden die Techniken nun vor allem in den USA selbst an. Kanadas Exporte brachen ein. Die Regierung Harper kürzte Sozialausgaben.

Kanada exportiert mehr Kapital als hereinkommt

Unter den zehn größten Unternehmen Kanadas sind heute fünf Banken, eine Versicherung und eine Finanzholding: Ihnen gehören die Aktien eines großen Teils der Unternehmen, und sie organisieren Kapitalanlagen rund um die Welt - Kanada exportiert mehr Kapital als nach Kanada hereinkommt; die Öl- und Gasunternehmen Kanadas und der verbliebende Rest an Industrie gehören Investoren aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg und China. Kanada ist eine globale Finanzdrehscheibe.

Alle international aktiven US-Unternehmen sind in Kanada vertreten. NAFTA gilt weiter und Kanada ist nun auch an das Abkommen TPP zwischen den USA und pazifischen Staaten gebunden. An CETA will auch die neue liberale Regierung unter Justin Trudeau nichts ändern.

Nicht nur der CETA-Vertrag, sondern auch die Praktiken des Vertragspartners Kanada zeigen: Arbeitnehmer, Verbraucher, Kleinunternehmer, Handwerker und Bauern haben hier keine Vorteile zu erwarten.

In Vorbereitung einer Podiumsdiskussion mit Verbandsvertretern (IHK, Arbeitgeberverband, Handwerkskammer) - der sich diese dann verweigert haben - haben wir unsere Kernthesen gegen TTIP etc. diskutiert. Reinhard Salamonsberger hat sie für uns zusammengefasst: