von Werner Hajek
Gleich zwei Ostermärsche gab es diesmal in Flensburg. „Typisch für diese Stadt, von allem gibt es immer zwei, und nie werden sie sich einig“, so beklagte sich eine Teilnehmerin der Kundgebung am Nordertor. Einigkeit für die zerstrittene Friedensszene? Ein nachvollziehbarer Wunsch. Schließlich ist eine zerstrittene Friedensszene ein Widerspruch in sich, oder?
Doch bevor wir auf den Kern des Differenzen zurückkommen, werfen wir erst einmal einen Blick auf die Akteure. Am Nordertor folgten bis zu 150 Friedensbewegte dem Aufruf vom Netzwerk Friedenskooperative und der DFG/VK-Ortsgruppe zur Kundgebung und zum Marsch für Frieden und Abrüstung. Alles ganz traditionell? Nicht nach Flensburger Neusprech. Denn unter dem irreführenden Etikett „Traditioneller Ostermarsch“ wollten andere Akteure die erhofften Massen beim tausend Meter entfernten Gewerkschaftshaus versammeln. Neben dem DGB unterzeichneten die evangelische Kirchengemeinden und die Ortsgruppen von SPD, Grünen und Linken den Aufruf für Frieden und Aufrüstung.
„Für Frieden und AUFRÜSTUNG“? Leider kein Schreibfehler. Ein wörtliches Zitat aus dem Aufruf ließ tatsächlich die entscheidende Frage ergebnisoffen im Raum stehen: „Muss Deutschland mehr Geld in Rüstung stecken, verbunden mit der Frage, ob das Zwei-Prozent Ziel der NATO nun sinnvoll erscheint oder nicht?“ Laut Auskunft einiger Linker hätten mehrere andere Gruppen sonst nicht mitmachen wollen. Die Quittung war eine Abstimmung mit den Füßen. Die gesammelte Kraft der aufrufenden Organisationen brachte nur eine Schar von, laut Tageszeitung, 60 bis 80 Teilnehmern zusammen, zu wenige. Also blieb es bei einer Kundgebung; der aufrüstungsoffene Abrüstungsmarsch wurde erst gar nicht angetreten.
Ich hatte mich sowieso für den echten Ostermarsch-Klassiker der örtlichen DFG/VK entschieden. Gut zu sprechen bin ich auf diesen Verein allerdings nicht. Mich stören seine Aufrufe, der angegriffenen Ukraine den Waffennachschub zu sperren. Mich stört die ewige Täter/Opfer-Verkehrung, nach der „militärische Verteidigung Selbstzerstörung ist“. Mich stört das übergroße Verständnis für das bedrohte, angeblich friedliebende Russland.
Nun gut, der erste Schritt zum Dialog beginnt mit dem Zuhören. Das wollte ich, und ich traf auf friedliche Menschen, freundliche Stimmung, auf einen Auftakt mit einen Mey-Song gegen den Krieg und auf einen schamanischen Friedenstrommler zum Abschluss.
Dass die Redner das Altbekannte wiederholten – geschenkt! Dass die offiziell parteipolitisch neutrale Demonstration von einem großen Banner der kommunistischen Jugendorganisation SDAJ begleitet wurde – auch geschenkt! Ich bin ja nicht mitgelaufen.
Interessanter ist die eingangs zitierte Frage der Kundgebungsteilnehmerin vom Nordertor: Warum zwei Osterdemonstrationen?
Was trennt diese gespaltene Flensburger Friedens-Szene, und wo hat sie vielleicht doch einen gemeinsamen Nenner? Hier meine persönliche Einschätzung: Die Spaltung besorgen zwei „unsichtbare Elefanten im Wohnzimmer“: nämlich die politischen und militärischen Machtbestrebungen Russlands einerseits, die politischen und militärischen Machtbestrebungen der USA und Deutschlands andererseits. Die Redner der beiden Kundgebungen nehmen jeweils nur einen der beiden Elefanten wahr, vor dem anderen drücken sie ein Auge zu. Einzelne Zuhörer sahen das am Nordertor beidäugiger.
Womit wir bei dem sind, was die meisten Friedensbewegten verbinden könnte:
- Das Mitleiden mit den Opfern
- Die Forderung, dass Menschen überall friedlich und selbstbestimmt leben sollen
- Der Einsatz gegen die brandgefährliche Zuspitzung der internationalen Lage
- Die Furcht vor einem ukrainischen Atomkraft-GAU oder einem Atomkrieg
- Der Protest gegen eine heißlaufende Rüstungsspirale
- Und vor allem die Erwartung, dass die vorhandenen Mittel und Fähigkeiten für wirklich wichtige Menschheitsaufgaben gebündelt werden müssen: für globale Gerechtigkeit und die sozialverträgliche Abfederung der Folgen der Erderwärmung
Reicht das für eine gemeinsame Basis?