Die Coronapandemie geht in der nördlichen Hemisphäre in den dritten Winter. Bis zum 21. November 2021 waren weltweit 256 Millionen Infizierte nachgewiesen und mehr als 5,1 Millionen Menschen dem Virus SARS-CoV-2 zum Opfer gefallen. Die Epidemiologen gehen übereinstimmend von weitaus höheren Zahlen aus. Sie multiplizieren die offiziellen Daten mit Dunkelziffern von mindestens 5 bei den Infizierten bzw. 2 bei den Todesopfern. Zudem ist Europa inzwischen besonders betroffen. In der 46. Kalenderwoche 2021 (15.–21.11.) stammten laut WHO-Angaben 67 bzw. 57 % aller registrierten Infizierten und Gestorbenen aus Europa. Covid-19 ist die schwerste Pandemie seit der globalen ‚Spanischen Grippe‘ 1918–1920.

Die Bekämpfung der Pandemie ist schwierig. Ihre Dynamik ist unkalkulierbar, und es treten immer neue Varianten des Erregers auf. Die Wirksamkeit der neu entwickelten Impfstoffe ist begrenzt, Erfolg versprechende Medikamente befinden sich erst in den Frühstadien der klinischen Erprobung. Es handelt sich somit um ein außerordentlich komplexes Geschehen, das nur im Zusammenwirken wissenschaftlicher, medizinischer und gesundheitspolitischer Untersuchungen und Maßnahmen unter Kontrolle gebracht werden kann.

Die Situation wird dadurch verschlimmert, dass der Eckpfeiler einer jeden Pandemiebekämpfung, das öffentliche Gesundheitswesen, in den vergangenen Jahrzehnten im Gefolge der neoliberalen Deregulierung weitgehend demontiert wurde. Die Ökonomisierung und Privatisierung der medizinisch-klinischen Versorgung und des Pflegeberichs verschlechterte die Situation weiter. Die erforderlichen Kapazitätsreserven fielen dem Renditedenken zu Opfer, und schon unter Normalbedingungen arbeiteten die Beschäftigten des Gesundheits- und Pflegesektors am Limit.

Gegenüber dieser kritischen Entwicklung versagten die Krisenstäbe der Experten und die politischen Entscheidungszentren auf der ganzen Linie. Sie waren nicht willens und fähig, die strukturbedingt unzureichenden Akutmaßnahmen mit einem radikalen Kurswechsel zu verbinden, um das Gesundheitswesen als Gemeingut der gegenseitigen Hilfe zu reorganisieren, die zutage getretenen Lücken und Missstände zu beheben und eine systematisch durchdachte Strategie der Pandemiebekämpfung zu etablieren. Stattdessen flüchteten sie sich in einen hilflosen Aktionismus, um Handlungsfähigkeit vorzutäuschen und Legitimationsverlusten vorzubeugen. Um ihre neoliberalen Prinzipien zu retten, kombinierten sie sie mit einer unüberschaubaren Abfolge von Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen (‚Shutdowns‘, ‚Lockdowns‘ und ‚Lockerungen‘), die der Dynamik der Pandemie hinterherliefen, die allgemeine Gesundheitsversorgung beeinträchtigten und gravierende soziale, politische und wirtschaftliche Folgen nach sich zogen.

In dieser kritischen Situation war und ist die innerhalb wie außerhalb des Gesundheitswesens aktive Linke besonders gefordert. Sie war der Herausforderung jedoch nicht gewachsen. Statt auf die in den 1970er und 1980er Jahren entwickelten Ansätze zur Demokratisierung und Kommunalisierung des Gesundheitswesens zurückzugreifen, sie in der Konfrontation mit der Pandemie zu aktualisieren und den neoliberalen Entscheidungszentren mit einem ausgewiesenen Aktionsprogramm entgegenzutreten, schlug die Linke in ihrer überwiegenden Mehrheit fatale Irrwege ein. Dabei errangen zwei entgegengesetzte Tendenzen die Oberhand. Eine Strömung propagierte den in der Volksrepublik China bis heute praktizierten Kurs eines ‚harten Lockdowns‘, der die individuellen, sozialen und politischen Grundrechte mit Füßen tritt: Mit ihrer Parole ‚Zero Covid‘ legitimierte diese Strömung letztlich das Versagen der neoliberalen Krisenstäbe und verabschiedete sich in die eigene digitale Handlungsunfähigkeit. Parallel dazu – teilweise aber auch als Gegenreaktion – verbündeten sich vor allem Exponentinnen und Exponenten des links-alternativen Milieus mit den Verharmlosern des Pandemiegeschehens und den Impfgegnern. Diese neue Sammlungsbewegung ist extrem nationalistisch, neoliberal und individualistisch ausgerichtet und mittlerweile weitgehend im rechtsextremistischen und neo-faschistischen Lager verankert. Es kam zu Massenprotesten, in deren Verlauf sich das Spektrum der ‚No Vax‘- Bewegung zunehmend konsolidierte und teilweise auch Basisinitiativen der arbeitenden Klassen einbezog, so etwa in Italien.

Die Lage ist somit bedenklich: Sie könnte sich aufgrund der ungebrochenen Dynamik der Pandemie und der irrsinnigerweise weiter verringerten klinisch-gesundheitspolitischen Kapazitäten im Verlauf des Winters 2021/22 noch weiter zuspitzen. Gleichwohl besteht zu Panik oder Resignation kein Anlass. Kritische Aufklärung tut mehr denn je not. Ihr will die Webseite ‚coronakrise-europa‘ Rechnung tragen. Sie wird wie bisher alles zusammenführen, was zum Verständnis der vielschichtigen Dynamik von Covid-19 erforderlich ist: wissenschaftliche Beiträge aus dem virologischen, epidemiologischen, medizinischen und Public Health-Spektrum, kritische Analysen der Gesamtentwicklung, Studien zur vergleichenden Pandemiegeschichte sowie Analysen über die sozialen, politischen und ökonomischen Folgen. Im Gegensatz zu bisher werden wir uns jedoch auch in der neuen Rubrik ‚Debatten und Kontroversen‘ verstärkt mit dem hilflosen und durch die neoliberale Ideologie vernebelten Aktionismus der politischen Entscheidungszentren auseinandersetzen, dem die nicht weniger hilflos anmutenden bipolaren Reflexe der Linken (‚Zero Covid‘ versus ‚No Vax‘) gegenüberstehen. Im Gegensatz dazu ist diese Webseite einen aufklärerischen Ansatz verpflichtet. Aus der Kritik der linken Irrwege und des neoliberalen Aktionismus der Führungsschichten sollen im Verein mit kritisch-wissenschaftlicher Analyse tragfähige Alternativen entwickelt werden.

Homepage: hier!  (https://coronakrise-europa.net/ )