Über Sinn und Unsinn der immer höheren und umfassenderen US-Zölle

Seit einigen Wochen bewegt viele die Frage, was wohl hinter der Zollpolitik Donald Trumps stecken mag, so auch unsere Redaktion. Anders als einige behaupten, jedenfalls keine gezielte Strategie, meint Redaktionsmitglied Werner Rätz, und spricht sich für die Verortung des Trumpschen Handelns in die bereits seit einigen Jahrzehnten währende Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems aus. Der Text entstand als Diskussionsbeitrag während unseres Gruppentreffens. Er liefert somit keine tiefgründige Analyse, sondern ist ein erster Aufschlag zur weiteren Diskussion.

von Werner Rätz

Um das Agieren der US-Regierung auch nur ungefähr fassen zu können, muss man sich als erstes von der Vorstellung lösen, es gehe hier um eine zusammenhängende, in sich kohärente Politik. Die Trump-Unterstützer*innen, darauf weisen alle, die sich halbwegs auskennen, immer wieder hin, stehen für sehr widersprüchliche Interessen, die oft noch quer durch die einzelnen Personen gehen. Zum Beispiel haben einige ein Interesse an einem schwächeren Dollar, weil der Exporte billiger und Importe teurer macht, andere betonen die Bedeutung der Weltwährungsfunktion des Dollar, weil die eine problemlose Kreditaufnahme auch für den Staat ermöglicht.
Trump versucht, die widersprüchlichen Interessen seiner Klientel gleichzeitig zu bedienen, wobei dazu bedingt auch der Teil der Arbeiter*innen gehört, der sich die Industrieproduktion zurückwünscht. Darauf zielt die Zollpolitik durchaus und die Militärpolitik ebenfalls (weil sie zusätzliche Produktion und Nachfrage anregt). Auch hier muss sich die Linke von ihren eigenen Vorstellungen lösen, darf also nicht von einer traditionellen Kritik des Freihandels, des deindustrialisierenden Sozialabbaus oder einer Antikriegsposition her denken. Solche Kritik ist zwar moralisch gut begründet (was Trump nicht im Geringsten interessiert), aber inhaltlich weitgehend begriffslos, weil ihr jedes Verständnis von Krise fehlt.

Es lohnt ein Blick zurück

Freihandel ist der Protektionismus der Reichen und Mächtigen (Vandana Shiva) oder Freihandel ist, wenn einer auf einen Baum geklettert ist und den anderen die Leiter wegtritt (Friedrich List). Damit fängt die Globalisierungskritik etwa Ende der 90er-Jahre an. Diese Kritik nimmt nun Trump für sich selbst beziehungsweise die USA in Anspruch. Andere, vor allem China, aber auch Mexiko, Kanada, die EU, eigentlich alle, hätten die USA beim Freihandel übervorteilt und die müssten sich nun selbst schützen, um ihren fairen Anteil zurückzubekommen.

Und tatsächlich bezeichnet,,Globalisierung" ja einen Prozess, in dem transnationale Konzerne als Hauptakteure einer national entgrenzten Ökonomie Waren- und Finanzmärkte global nach Kostenvorteilen absuchen, um so ihr Produkt immer billiger anbieten zu können als die Konkurrenz. Damit stellen sie eine buchstäbliche „Weltwirtschaft" überhaupt erst her. Da Kapital, wenn es erfolgreich funktioniert, bei jeder Investitions- (= Produktions-) Runde größer ist als vorher, muss es immer weiter wachsen. Das sprengt nicht nur die räumlichen wie die mengenmäßigen Grenzen, sondern ver,wandelt auch immer mehr Lebensbereiche in Warenmärkte, die zum Teil, wie bei Wissen oder Kulturgütern, nur simuliert, also durch rechtliche Barrieren hergestellt sind. Gleichzeitig wird das Kapital nicht nur mehr, es wird auch produktiver, das heißt, die Menge der Produktion wächst schneller als die Menge des Kapitals.

Das war der Stand etwa zu Anfang/Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Da fängt die globale Überproduktions- und Systemkrise an. Die wird aber nicht gelöst oder auch nur zugelassen, also dass sie sich austobt und ihr Werk vollbringt und überschüssiges Kapital vernichtet. Stattdessen beginnt die „Globalisierung", das heißt eine Wirtschaftspolitik, die darauf abstellt, jeden noch so überflüssigen, sinnlosen, schädlichen Produktionsprozess immer weiter auszudehnen, ohne dass jemand dieses Zeug wirklich braucht. Auch schafft sie Investitionsmöglichkeiten in bisher öffentlich organisierte Dienstleistungen, indem sie diese privatisiert, und vertröstet schließlich den verbleibenden Rest des Überschusskapitals auf die Zukunft, um es als fiktives, Kreditkapital, ,,Schulden", Ansprüche auf zukünftigen Wert bestehen zu lassen.

Keine Einzelerscheinung
Diese Entwicklung hält bis heute an, und ohne ein zumindest rudimentäres Verständnis, dass es sich hier um systemische Krisenerscheinungen handelt, ist das Phänomen Trump nicht zu begreifen. In der Düsseldorfer Erklärung hatte das globalisierungskritische Netzwerk Attac diesen Prozess 2008 genau beschrieben, auch andere hatten damals ein erstes Interesse an Krisentheorie entwickelt. An die Stelle dieses Einstiegs in eine systematische Kritik tritt heute meist wieder der reflexhafte Bezug auf die Sozialpolitik des Nachkriegskapitalismus. Diese war jedoch nicht zufällig in die Krise geraten und kann somit auch keine Lösung dafür sein. Das macht soziale Kämpfe nicht sinnlos; jeder Teil des Profits, der durch erfolgreiche Kämpfe in Mittel für das Gute Leben der Menschen verwandelt würde, verzögerte die Krisenentwicklung, hielte sie aber nicht auf.

Jedenfalls ist das, was Trump macht, lediglich der nächste Schritt der früher schon verfolgten sinnlosen und zerstörerischen Maßnahmen. Die Kernprobleme bleiben bestehen: Es gibt Überkapazitäten in unvorstellbarem Ausmaß, das heißt, von praktisch allen Gütern gibt es mehr, als die Menschen brauchen und vor allem kaufen können. Da gleichzeitig das Kapital wegen der Überproduktion tendenziell wenig profitabel ist, bestehen kaum Spielräume für eine großzügige Sozialpolitik. Im Gegenteil, wegen des Überangebots an Arbeitskräften und wegen der Profitklemme geht das Kapital immer öfter dazu über, die Löhne unter das Existenzminimum zu drücken. Jedenfalls bleiben die Kapitalmengen zu groß und werden zu schnell größer, eine Endlosschleife.

Dadurch nehmen immer größere Teile des gesellschaftlichen Gesamtkapitals die Form fiktiven Kapitals (,,Schulden") an, das das Realkapital bei weitem übertrifft, sich aber nur durch die Produktion wirklich realisieren kann. Da dort die fiktiven Profitraten höher sind als in der Produktion, geht davon eine Sogwirkung auf die Gewinnerwartungen des produktiven Kapitals aus. Eine weitere Endlosschleife.
Mehr oder weniger alle Dienstleistungen sind privatisiert und alles Denkbare ist in fiktive Waren verwandelt worden. Neue Branchen, von denen produktive Wunder erwartet worden waren, haben diesbezüglich nichts gebracht (Gentechnik, Digitalisierung). Man muss also zerstören, um neu aufzubauen: Raubrittertum erlebt in Gestalt der Kriegs- und Abrissunternehmer ein Revival und Krieg und Kettensäge begeben sich ebenfalls in eine Endlosschleife... Trump versucht mit allen Mitteln dafür zu sorgen, dass von all dem überflüssigen Mist möglichst viel in den USA bleibt oder dort wieder hinkommt. Dabei verwandelt er den Staat selbst in ein Raub- und Abrissunternehmen. Das kann aber nichts daran ändern, dass die Krise weitergeht, auch wenn vielleicht Teile seiner Klientel eine Weile lang den Eindruck haben könnten, sie hätten erfolgreich „gewirtschaftet".

Jede auch nur im Ansatz reflektierte Gegenposition müsste das Grundproblem im Auge behalten, nämlich dass viel zu viel Waren, viel zu viel Kapital, viel zu viel,,Reichtum" (der ja in Wirklichkeit oft nur die Verwandlung von Natur in sinnlose Produkte ist) da ist. Jede Forderung müsste darauf zielen, weniger, viel weniger zu produzieren und die materielle Absicherung der Menschen aus dem Kapitalverhältnis rauszunehmen und gesellschaftlich zu organisieren. Also nicht um Gegenzölle oder sowas geht es, auch nicht um die Verteidigung des Freihandels, nicht um den Schutz gefährdeter Wirtschaftsbereiche und auch nicht um den Erhalt von Arbeitsplätzen, sondern um das, was wir seit Langem soziale Infrastruktur und das Gute Leben nennen.