In der Diskussionen der attac-Gruppe Flensburgs seit dem Herbstratschlag attacs in 2023, haben wir unterschiedliche Aspekte der Entwicklung diskutiert und sind zu der folgenden Überlegung gekommen: Eine eindeutige Beurteilung der internen chinesischen Entwicklung und der chinesischen Außenpolitik haben wir nicht treffen können - genauso wenig wie eine Positionierung, ob wir es hier mit einem kapitalistischen oder sozialistischen Land zu tun haben.

In der Arbeit mit dem chinesischen Belt and Road Initiative haben wir z.B. den Eindruck bekommen, dass es fraglich ist, wie in dem attac-Positionspapier aus dem Herbst 2023 die internationale Rolle Chinas charakterisieren wird. Es liegt teilweise daran, dass die internationalen chinesischen Investitionen nicht einhundert Prozent zentral gesteuert werden, sondern auch häufiger den Provinzen überlassen worden sind. Das führt dazu, dass in den konkreten Untersuchungen der außenwirtschaftlichen Beziehungen Chinas immer wieder Widersprüche auftauchen, die einerseits den Eindruck hinterlassen, dass China eher eigene nationale wirtschaftliche Interessen verfolgt, aber andererseits auch Projekte unterstützt, die von unterschiedlichen Staaten im globalen Süden gewünscht werden und in deren eigenem Interesse sind. Manchmal gibt es Beispiele, bei denen es Vorteile für beide Seiten gleichzeitig zu geben scheint, was von offizieller chinesischer Seite vermutlich als Ausdruck dafür gewertet wird, dass die chinesische Außenpolitik auf dem Prinzip des gegenseitigen Nutzens beruht.

Die weitere Frage ist, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um die Politik eines erklärten sozialistischen Landes auch als sozialistisch bezeichnen zu können, und wie diese Politik konkret empirisch zu erfassen wäre.
Es ist eine wichtige Aufgabe für attac, solches zu präzisieren, so dass eine fundierte Grundlage für unsere Schlussfolgerungen aufgebaut werden können.

In Verlängerung von Ingar Soltys Vortrag bei attac am 22.1.2024 haben wir auch diskutiert, wie wir damit umgehen sollen, dass China auf der einen Seite gigantische Unterschiede in der Verteilung des Privatvermögens hat, aber auf der anderen Seite dafür gesorgt hat, dass hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt worden sind. ... sowie dass China einerseits Anfang des 21. Jh. eine riesige Privatisierungswelle ausgelöst hat, aber andererseits in den letzten 10-15 Jahren die Partei verstärkt die Produktion in den einzelnen Firmen kontrollieren und Fälle von Korruption drakonisch verfolgen lässt. Und wir diskutieren über ein Land, wo Grund und Boden immer noch Staatseigentum ist. Ist das Kapitalismus - und wenn ja, welche Form von Kapitalismus?

Die chinesische Entwicklung seit 1949 ist überaus widersprüchlich. In der Zeit Maos wurde der Klassenkampf und die Mobilisierung des Volkes als das zentrale Kennzeichen einer sozialistischen Gesellschaft angesehen. Das wird in der ChKP seit einigen Jahrzehnten zurückgewiesen und stattdessen sind Besitzer von Firmen, Privateigentümer in der Partei als Mitglieder aufgenommen worden. Wie ist das zu bewerten? Bedeutet es, dass sich die Geschäftsinhaber der Politik der Partei unterwerfen müssen - oder ist es ein Ausdruck dafür, dass die Politik der Partei mit den Interessen der Geschäftsinhaber identisch ist? Deng Xiaoping glaubte an den trickle-down-Effekt und machte ihn damit bei rasant wachsenden wirtschaftlichen Unterschieden gesellschaftsfähig. Heute gibt es Anzeichen dafür, dass diese Unterschiede nicht mehr unwidersprochen akzeptiert werden und dass hinter dem Kampf gegen die Korruption der Versuch der Partei steht, mehr Entscheidungsgewalt über die wirtschaftliche Entwicklung zu erlangen.

In der internationalen politischen Entwicklung spielt die neue Front der G7-Staaten unter der Führung der USA gegen China eine zentrale Rolle - das gilt unabhängig davon, ob Republikaner oder Demokraten in Washington das Sagen haben. Wie sollen wir uns dazu positionieren? Ist es ein Vorteil für die Chinesen und für die Völker der übrigen Welt, eine unilaterale Welt zu haben, die von den Vereinigten Staaten angeführt wird, oder ist es besser, wenn es eine multipolare Welt gibt, in der China - wenn auch widersprüchlicher - Teil des Widerstands gegen den US-Imperialismus sein kann?

Es ist eine große, notwendige Herausforderung für attac, hier eine gründliche Analyse zu organisieren.
Die undifferenzierte pauschale negative Bewertung Chinas durch das 2023 verabschiedete Positionspapier "Globalisierungskritik neu denken" entspricht in jedem Fall nicht den bislang publizierten Diskussionen im Attac-Rahmen.

 
Morten + Henning, 03.03.24