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Die Verantwortung des Angegriffenen

  • Von Reinhard Merkel  -  Aktualisiert am

Reinhard Merkel ist emeritierter Professor für für Strafrecht und für Rechtsphilosophie der Universität Hamburg und Mitglied des Deutschen Ethikrates bis 2020

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ist völkerrechtswidrig und das Land dazu verpflichtet, die Gewalt zu beenden. Gibt es aber auch eine Pflicht für die Ukraine, sich auf Verhandlungen einzulassen?

Die Anfänge der Lehre vom gerechten Krieg reichen zurück in die vorsokratische Antike. Systematisch ausgearbeitet wurden sie erst von den scholastischen Theologen und den Juristen des kanonischen Rechts im späten Mittelalter. Die Gründerväter des neuzeitlichen Völkerrechts im 16. und 17. Jahrhundert nahmen die Entwürfe auf und entwickelten sie weiter: zur vernunftrechtlichen Ordnung einer europäischen Staatenwelt, die sich mit dem Westfälischen Frieden von 1648 neu zu formieren begann. Grundlage ihrer Rechtsbeziehungen wurden moderne Prinzipien der Staatlichkeit ihrer Subjekte: deren Souveränität, ihre Gleichheit und die Undurchdringlichkeit ihrer territorialen Grenzen wie ihrer inneren Angelegenheiten gegen Interventionen von außen.
Seither unterscheiden alle Theorien des gerechten Kriegs zwei normative Grundfragen: die nach dem Recht zum Krieg (ius ad bellum) und die nach dem Recht im Krieg, den zulässigen Formen militärischer Gewalt (ius in bello). Kant schärfte in seiner „Rechtslehre“ den Blick für die Notwendigkeit einer dritten Kategorie: für das Recht nach dem Krieg (ius post bellum), die Pflichten der Konfliktparteien nach dem Ende ihrer Kämpfe. Diese Dreiteilung der Frage nach der Gerechtigkeit von Kriegen spiegelt sich, wiewohl unvollständig, auch in der Entwicklung des Völkerrechts bis in die Gegenwart.

Wer könnte die Pflicht einfordern?

Erst in jüngster Vergangenheit erkannte man, dass die klassische Trias der Normen legitimer Kriegführung eine empfindliche Lücke aufwies. Darrell Moellendorf, Philosoph an der Universität Frankfurt, gab ihr einen sprechenden Titel, der sich durchsetzte: „ius ex bello“. Knapp und grob: Gibt es schon während des Gewaltgeschehens für alle Konfliktparteien rechtsprinzipielle Pflichten, sich um Wege ex bello zu bemühen, um ein Ende des Kriegs, und zwar selbst dann, wenn dies ihre militärischen oder politischen Ziele vereiteln würde?
Für Kriege, in denen außer Zweifel steht, wer Aggressor und wer Angegriffener ist, erhält die Frage eine besondere Schärfe. Denn solche Ex-bello-Pflichten könnten das Recht des Angegriffenen, sich zu verteidigen, beschränken oder unterlaufen. Damit sind wir beim Krieg in der Ukraine. Russlands Invasion war völkerrechtswidrig, und seine weitere Kriegführung bleibt dies. Dass der Aggressor verpflichtet ist, die Gewalt zu beenden und zum Status quo ante zurückzukehren, versteht sich. Warum aber sollte, solange das nicht geschieht, die Ukraine verpflichtet sein, sich auf Verhandlungen einzulassen und ihren Kampf womöglich zu beenden, bevor dessen Ziele erreicht sind? Was könnte diese Pflicht begründen? Und wer könnte sie einfordern? (Der Aggressor?)

Recht zur Selbstverteidigung

Das Völkerrecht kennt keine Pflicht zur Selbstverteidigung. Es erlaubt dem angegriffenen Staat, der nach Artikel 51 der UN-Charta ein „naturgegebenes Recht“ zur Selbstverteidigung hat, sich zu wehren, solange die Aggression andauert und solange er will und kann. Daraus folgt nicht, dass seine Kriegführung keine moralischen Grenzen hätte. Zwei davon sind offensichtlich (wann sie erreicht wären, ist eine andere Frage): erstens das Risiko eines Nuklearkriegs und zweitens ein unerträgliches Missverhältnis zwischen den Zielen der Selbstverteidigung und deren Kosten an menschlichem Leben und Leid – nicht nur der Zivilbevölkerung, sondern auch der Soldaten. Zwar haben Kombattanten, egal ob sie zur Armee des Aggressors oder des Verteidigers gehören, eine symmetrische Erlaubnis, einander zu töten. Dieses zwielichtige Privileg moralisch zu rechtfertigen ist aber bislang weder den Völkerrechtlern noch den Philosophen gelungen.
Das Schweigen des Völkerrechts zum ius ex bello überlässt dessen Begründung der politischen Ethik. Die zuständigen Argumente korrespondieren mit denen des ius ad bellum für gerechte Kriege. Denn gerechtfertigt kann die Fortsetzung der eigenen Gewalt nur so lange sein, wie die legitimierenden Gründe für deren Beginn fortbestehen. Aber die äußeren Umstände, auf denen die anfängliche Rechtfertigung beruhte, mögen sich im Verlauf eines Kriegs dramatisch verändern – und mit ihnen das moralische Urteil über seine Verlängerung. Die klassische Doktrin des ius ad bellum kannte neben formellen Bedingungen jeder Kriegführung (Autorisierung, Erfolgsaussicht, Verhältnismäßigkeit) eine ganze Reihe materieller Gründe ihrer Gerechtigkeit: Schutz der (eigenen) Religion in anderen Ländern, Hilfe für unterdrückte Völker, präventive Sicherung der Mächtebalance, territoriale Konflikte, Bestrafung von Rechtsbrüchen und schließlich die Selbstverteidigung und die Nothilfe gegen die Aggression Dritter.
Das heutige Völkerrecht akzeptiert davon nahezu nichts mehr. Nur die individuelle und kollektive Selbstverteidigung gilt ihm als legitimer Kriegsgrund. „Gerechte Kriege“ kennt es nicht mehr. Selbst ein Krieg zur Verteidigung ist nicht schon deshalb gerecht, wiewohl ihn die UN-Charta zum Naturrecht nobilitiert. Man stelle sich den Angriff gegen ein Tyrannenregime finsterster Provenienz vor, Nordkorea etwa. Er werde, nehme man an, von demokratischen Staaten im Zeichen globaler Mindeststandards der Menschenrechte geführt und verfolge allein das Ziel, ein Volk aus seiner Knechtschaft zu befreien. Der angegriffene Staat hätte fraglos ein Recht zur Selbstverteidigung, jeder andere dürfte ihm helfen. Die menschenrechtsfreundlichen Angreifer dagegen machten sich der Aggression schuldig: eines völkerrechtlichen Verbrechens. Dass aber ein solcher Krieg zur Verteidigung der eigenen Tyrannis gerecht wäre, wird niemand behaupten wollen.
Kurz: das Völkerrecht hat die Legitimation militärischer Gewalt entmoralisiert. Der Schutz des globalen Friedens hat Vorrang vor der Gerechtigkeit. Man mag diesen Schutz für ein Postulat von Moral und Gerechtigkeit halten. Plausibler versteht sich das Gewaltverbot als Stabilitätsbedingung jeder Normenordnung, auch einer ungerechten (wie der heutigen Weltordnung). Als eine solche Bedingung, sagt Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“, wäre es zwingend „selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben)“. Die zweite (und letzte) Möglichkeit der Rechtfertigung militärischer Gewalt, ihre Autorisierung durch den Weltsicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta, unterstreicht den prinzipiellen Vorrang der Friedensmaxime. Eine solche Autorisierung ist kein Rechtszwang für die Interessen einzelner Staaten, sondern Ausübung eines globalen Gewaltmonopols zugunsten des Friedens aller. Auch das Recht auf Selbstverteidigung steht unter diesem Vorbehalt. Zieht der Sicherheitsrat die Regelung eines Konflikts an sich und trifft „die zur Wahrung des Weltfriedens . . . erforderlichen Maßnahmen“ (Artikel 51 der UN-Charta), so endet die Freiheit des angegriffenen Staates, über Fortsetzung oder Beendigung seines Kampfes zu entscheiden. Erließe der Rat eine Resolution, die beide Kriegsgegner zum Waffenstillstand verpflichtete, entfiele auch für den Angegriffenen das Recht auf weitere Gewaltanwendung. Verantwortung der Ukraine
Das alles indiziert eine Pflicht der Regierung in Kiew, Verhandlungen ex bello zu akzeptieren und deren konzessionslose Ablehnung zu beenden. Diese Pflicht ist, im Unterschied zu der Moskaus, kein unmittelbares Gebot des Völkerrechts, wohl aber eines der politischen Ethik. Ihre Basis ist eine spezifische Verantwortung auch der ukrainischen Regierung und reicht über die triviale Grundnorm jeder Moral, menschliches Leid zu vermeiden, weit hinaus. Denn die Ukraine ist kausal beteiligt an der fortdauernden Erzeugung des Elends dieses Krieges. Der schlichte Befund, so unbestreitbar er ist, löst regelmäßig Empörung aus. Sie gründet vermutlich in der Intuition, die defensive Beteiligung an einem Konflikt, den ein anderer als Aggressor zu verantworten habe, schließe jede Zurechnung seiner Folgen an das Aggressionsopfer aus. Auch in der Politik ist dieser Gedanke populär. An den Kommentaren zu dem jüngsten Einschlag ukrainischer Raketen in einem polnischen Dorf ließ sich das ablesen. Ohne Russlands Angriffskrieg, so hieß es, geschähen solche Dinge nicht; auch für sie sei daher allein Moskau verantwortlich.
Aber das ist gewiss falsch. Man unterstelle hypothetisch, die Rakete sei vorsätzlich in ihr Ziel gelenkt worden. Selbstverständlich wären die Urheber dafür verantwortlich, und übrigens sie allein, nicht außerdem noch Moskau als der Urheber des Krieges. Auch Kriegsverbrechen ukrainischer Soldaten geschähen nicht, hätte Russland den Krieg nicht begonnen. Wer käme ernsthaft auf die Idee, daher seien für solche Verbrechen nicht ihre Täter, sondern Russland selbst verantwortlich? Um Missverständnisse zu vermeiden: Nichts spricht im Fall der Raketeneinschläge in Polen für einen Vorsatz der Schützen. Aber auch im wahrscheinlichen Fall ihrer Fahrlässigkeit tragen sie am Tod der beiden Opfer eine Mitschuld, die von dem Urheber des Krieges freilich geteilt wird. An Russlands Verantwortung für den Hintergrund des trostlosen Geschehens besteht ja kein Zweifel. Das schließt die eigene Verantwortlichkeit der Ukraine aber nicht aus.
Etwas verantworten müssen ist nicht gleichbedeutend mit schuldig sein. Die Verantwortung mag sich ja, anders als die des Aggressors, tragen lassen, und selbst ihre katastrophalen Folgen mögen gerechtfertigt sein. Bis zu welchen Grenzen? Irgendwann kommen die des nicht mehr Legitimierbaren in den Blick: das atomare Risiko für die Welt und die Zerstörung der Ukraine, des Lebens und der Zukunft ihrer Menschen. Lange vor diesen Grenzen beginnt die moralische Pflicht auch des Aggressionsopfers, mögliche Alternativen zur Fortsetzung des blutigen Grauens zu erwägen und in Verhandlungen zu klären. Die Pflicht des Angreifers, seine Aggression zu beenden, versteht sich (noch einmal) von selbst. Aber ihre Verweigerung hebt moralische Bindungen der ukrainischen Regierung nicht auf – weder gegenüber dem Rest der Welt noch und vor allem gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung und ihren Soldaten.

Jenseits der Schmerzgrenze

Viele glauben, eine Pflicht ex bello lasse sich so nicht begründen. Ob die Ukraine über einen Waffenstillstand verhandeln wolle oder nicht, sei ihre Sache, in die sich niemand einzumischen habe. Das überzeugt nicht. Gewiss trifft es in einem belanglos formellen Sinne zu, dass für die Entscheidung, den Krieg fortzusetzen, die Regierung in Kiew zuständig ist – so wie es für die Entscheidung, ihn zu beginnen, die Regierung in Moskau war. Das schließt Kritik daran nicht aus. Denn dafür gelten die Normen des Völkerrechts und der politischen Ethik, nicht die Kriterien von Machthabern. Jeder Krieg, sein Beginn, seine Dauer wie sein Ende, ist von gravierender Bedeutung für die ganze Welt. Die UN-Charta, Gründungsurkunde des heutigen Völkerrechts, lässt daran keinen Zweifel und die Ethik erst recht nicht. Für das Risiko eines Atomkriegs, das zwar gering, aber wegen seiner apokalyptischen Dimension dennoch zu hoch ist, liegt das auf der Hand. Es gilt aber auch für ein ins Maßlose wachsende Elend aller, die in das Gewaltgeschehen zwangsinvolviert sind: neben Hunderttausenden von Soldaten beider (ja, beider) Armeen viele Millionen Ukrainer, von denen Tausende den Winter nicht überleben werden.
Die Ukraine mag diesen Krieg am Ende gewinnen können, politisch und vielleicht auch militärisch, aber allenfalls mit einer Zerstörungsbilanz, die dem Begriff eines solchen Sieges keinen fassbaren Sinn mehr beließe. Der Gedanke deutet an, wie irreführend die Analogie zwischen staatlichem Verteidigungskrieg und individueller Notwehr ist. Wer als Person angegriffen wird und sich wehrt, darf das mit jedem Risiko für sich selbst und bis zum Verlust seines Lebens tun. Aber Regierungen haben Schutzpflichten gegenüber den Bürgern ihrer Länder. Dazu gehört auch die Verteidigung des Staates gegen Aggressoren, aber der Schutz von Leib und Leben und Zukunft seiner Bürger ebenfalls. Jenseits einer Schmerzgrenze, an der die Verwüstung des Landes und der Menschen jede moralische Proportionalität übersteigt, noch immer allein auf die Fortsetzung der Gewalt zu dringen und jede Verhandlung über deren Ende abzulehnen ist nicht tapfer, sondern verwerflich.
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandlungen können scheitern, man kann sie auch scheitern lassen. Die Ukraine hat keinerlei Veranlassung, irgendeine der völkerrechtswidrigen Annexionen ihres Territoriums seit Februar dieses Jahres anzuerkennen. Mit der Krim und deren avisierter Rückeroberung verhält sich das allerdings anders. Keine Rolle spielt dabei, ob der Anschluss der Krim an Russland 2014 eine Annexion war oder nicht. Völkerrechtswidrig war das russische Verhalten jedenfalls, vielleicht auch ein bewaffneter Angriff, wiewohl kein einziger Schuss fiel und niemand verletzt wurde.

Kopfschüttelnde Zurückweisung

Doch seither steht die Krim unter einer russischen Administration, der die große Mehrheit ihrer Bevölkerung zustimmt. Aus der ehedem rechtswidrigen Okkupation ist der stabile Zustand einer befriedeten Ordnung entstanden. Damit gewinnt die Friedensmaxime der UN-Charta, die Grundnorm ihres Gewaltverbots, Dominanz über abweichende Erwägungen zur territorialen Gerechtigkeit. Zugleich endet für die Ukraine die Möglichkeit, eine militärische Rückeroberung der Krim als Selbstverteidigung zu rechtfertigen. Das mag man missbilligen. „Der Besitzschutz des Räubers“, schrieb der Völkerrechtler Walter Schätzel schon 1953 über jene Maxime der Charta, „ist unerträglich.“ Vielleicht. Aber es geht nicht um Besitz-, sondern um Friedensschutz.
Nur wenn die friedliche Verwaltung der Krim seit neun Jahren ein permanenter „bewaffneter Angriff“ Russlands wäre, hätte die Ukraine auch jetzt noch, womöglich ad infinitum, ein Recht zur gewaltsamen Revision. Für diese These spricht wenig. 1982 hat Argentinien, nachdem es die Falkland-Inseln besetzt hatte, in einem Schreiben an den Sicherheitsrat ein analoges Argument bemüht. Die Okkupation der Inseln durch England 1832 sei rechtswidrig gewesen: ein bewaffneter Angriff. Dieser dauere seither fort. Mit der Rückbesetzung übe Argentinien lediglich sein Recht auf Selbstverteidigung aus. Der Rat hat das Argument in wenigen Zeilen, fühlbar kopfschüttelnd, zurückgewiesen.

Ein Angriff auf die Krim wäre illegitim

Nun sind eineinhalb Jahrhunderte friedlicher Regierung naturgemäß ein gewichtigerer Umstand als knapp neun Jahre russischer Verwaltung auf der Krim. Wie viele Jahre reichen? Darüber kann man streiten (und tut es auch). Aber entscheidend ist nicht die schiere Dauer der Verwaltung, sondern das Maß der mit ihr erreichten normativen Stabilität und die Gewähr ihrer friedlichen Zukunft. Historische, kulturelle, sprachliche und religiöse Hintergründe können dafür eine bedeutendere Rolle spielen als die formelle Souveränität über das Territorium. Für die Krim ergibt sich hieraus ein klarer Befund. Die Bewohner der Halbinsel fühlen sich mehrheitlich als Russen; längst vor 2014 wollten sie den staatsrechtlichen Wechsel. Diesen nun mit Gewalt zu revidieren, dafür Tausende weiterer Menschenleben zu zerstören und unauslöschliche Spuren des Hasses in den Überlebenden zu hinterlassen, schriebe einen düsteren Plan für die Zukunft der Krim und ihrer Bewohner.
Begänne die Ukraine mit dem Versuch einer militärischen Rückeroberung der Krim, so begänne sie einen neuen Krieg. Er wäre nicht die Fortsetzung der Verteidigung gegen die russische Aggression vom vergangenen Februar, sondern selbst ein bewaffneter Angriff. Das sollte die Bundesregierung bei weiteren Waffenlieferungen bedenken. Deren Bedingungslosigkeit war immer verkehrt, politisch wie moralisch. Sollten die künftigen Lieferungen irgendwann zur Rückeroberung der Krim verwendet werden, würde aus diesem Fehler eine Verletzung des Völkerrechts.

 

 

 

 

Wenn nicht ein Wunder passiert, stehen uns harte Zeiten bevor. Wir sind auf dem besten Weg in eine multiple Krise. Drei Krisen sind miteinander verwoben. Der Krieg in der Ukraine, die sich zuspitzende Klimakrise und eine tiefe soziale Krise, die bisher wegen rapide steigender Preise schon den weniger vermögenden Teilen der Bevölkerung stark zusetzt und sich allen Anschein nach zu einer Rezession auswächst. Leider ist selbst in weiten Teilen der Linken kein Thema, dass der Krieg in der Ukraine als Verstärker für die beiden anderen Krisen wirkt.

Frieden ist nicht Alles, aber ohne Frieden ist Alles nichts

In der aktuellen Lage ist konsequente Friedenspolitik ein elementarer Bestandteil des Kampfes gegen die drohende Klimakatastrophe. Schon der bloße Betrieb der Kriegsmaschinerie (Bewegungen von Panzern, Lkws und Flugzeugen ist schlimm für Klima und Umwelt. Wenn im Zuge der Kämpfe Gebäude, Kriegsgerät oder gar Tanklager in Brand gesetzt werden, sind das Katastrophen für das Klima.

Der Vorrang militärischer Erwägungen vor dem Klimaschutz führt dazu, dass mittlerweile in der BRD ein Rollback in der Klimaschutzpolitik (Verstärkter Einsatz von LNG und die Verlängerung der Laufzeiten für Kohlekraftwerke) stattfindet. In der Mainstreamgesellschaft ist das kein Thema, der Protest aus den Reihen der Klimabewegung ist erschreckend schwach.

Wenn die NATO-Staaten mit Russland sich auf eine Vereinbarung zur Einstellung der Kampfhandlungen und eine Deeskalation des Konfliktes verständigen würden, würde auch ein Kompromiss in der Frage der Sanktionen und somit die Wiederaufnahme der Gaslieferungen durch Russland in den Bereich des Möglichen rücken. In diesem Fall würde es wieder möglich, jene Teile der Infrastruktur, die sich nicht kurzfristig von Gas auf regernative Energien umstellen lassen, wieder mit dem weniger „schmutzigen“ russischen Gas zu betreiben.

Die Klimafrage ins Zentrum stellen

In den letzten Monaten haben wir einen kleinen Vorgeschmack auf das bekommen, was uns erwartet, wenn wir die Klimakatastrophe nicht so schnell wie möglich aufhalten. Die nächsten paar Jahre werden ausschlaggebend dafür sein, ob die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränkt und das Sterben von Millionen Menschen, Arten und die Verödung ganzer Erdregionen noch verhindert werden können. Im Zentrum unserer Bemühungen muss die Verhinderung oder zumindest die deutliche Abschwächung der Klimakatastrophe stehen. Alle ergriffenen und vorgeschlagenen Maßnahmen sind daran zu messen, ob sie einen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgase bringen.

Die Zeit drängt – Mehr Tempo bei der Klimawende

Wir brauchen zunächst eine Reihe von Sofortmaßnahmen, die schnell umsetzbar sind. Leicht umzusetzen und mit großer Wirkung wäre beispielsweise ein allgemeines Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen und 30 km/h innerorts, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und die Einführung einer Kerosinsteuer. Auch autofreie Sonntage sind in diesem Zusammenhang überlegenswert.

Ökologischer Umbau und Arbeitsplätze

Angesichts des beschleunigten Klimawandels ist es dringend geboten, dass eine ganze Reihe von Produktionsbereichen, die schädliche Auswirkungen auf das Klima haben, entweder radikal umgebaut oder sogar ganz rückgebaut werden. Das betrifft gerade einige Branchen, die in der Volkswirtschaft der BRD eine herausragende Stellung einnehmen wie die Autoindustrie und wichtige Teil der Chemieindustrie (Reduktion der Kunststoff-, Düngemittel- und Pflanzengiftproduktion). Die Konsumgüterindustrie sollte auf langlebige, recyclingfähige und reparaturfähige Produkte umgestellt werden. Andere Sektoren wie das Militär, die Banken, die Werbeindustrie oder auch die Luftfahrtindustrie sind radikal zurückzubauen oder ganz zu streichen. Letztlich steht nicht nur der Kapitalismus, sondern auch die Struktur der BRD als Industriegesellschaft in der heutigen Form zur Disposition.

Mit dem Rückbau von Industriesektoren geht natürlich ein Verlust von Arbeitsplätzen in diesen Branchen einher. Trifft es also zu, dass Ökonomie und Ökologie in schroffem Widerspruch zueinander stehen? Nein, das trifft nicht zu. Denn beim notwendigen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und bei Fitmachung unserer Städte für die Bewältigung der sich häufenden Extremwetterlagen fällt eine Unmenge von Arbeit an – viel mehr Arbeit als durch die Stillegung nicht-nachhaltiger Produktionssektoren verloren geht.

Für die zahlenmäßig kleine ökosozialistische Linke stellt sich die Aufgabe, konkrete, für breite Bevölkerungskreise nachvollziehbare Vorschläge dazu zu entwickeln, wie diese radikale Umstrukturierung unserer Industriegesellschaft aussehen kann. Das erfordert eine detaillierte Kenntnis der Produktionsprozesse und der Produkte, die in den Fabriken hergestellt werden. Angesichts der Tatsache, dass die Linke sich weitgehend aus dem betrieblichen Sektor als Tätigkeitsfeld verabschiedet hat und deshalb bezüglich dessen, was dort abgeht, ahnungslos ist, ist die Aufgabe, die vor uns liegt, wahrlich eine „Challenge“.

Beschleunigter Umbau des Energiesektors

Beim Ausbau von erneuerbaren Energien wie Windkraft, Solarenergie oder der Nutzung der Wasserkraft in Form von Wellenkraftwerken oder Gezeitenkraftwerken gibt es ein großes Potential für neue Arbeitsplätze. Dazu kommt der notwendige Umbau beziehungsweise Ausbau des Stromnetzes. Für die Menschen, die bisher im Bereich der Erzeugung fossiler Energie tätig sind, gibt es die Möglichkeit, auf Tätigkeiten im Bereich der erneuerbaren Energie umzuschulen. Die Autoren der britischen Studie „One Million Climate Jobs“ gehen davon aus, dass durch den Umstieg auf erneuerbare Energien in Großbritannien 560.000 mehr Arbeitsplätze neu geschaffen werden als durch den Ausstieg aus den fossilen Energien verloren gehen. Wenn es im Konkreten natürlich Unterschiede zwischen der Situation in der BRD und Großbritannien gibt, so dürfte in der bevölkerungsreicheren BRD von einem ähnlichen Zusatzbedarf an Arbeitskräften auszugehen sein.

Gute Arbeit und soziales Wohlergehen durch sozialökologischen Umbau

Beispiel Autoindustrie

In dem 2022 erschienen Buch „Spurwechsel – Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion“ haben die Autoren herausgearbeitet, dass es für eine echte Mobilitätswende eine andere industrielle Produktion und vor allem unglaublich viele Arbeitskräfte braucht. Nötig wären viel mehr Busse, Straßenbahnen, Züge im Regional- und Fernverkehr, neue Leitsysteme, E-Bussysteme mit Oberleitungen, Nutzfahrzeuge von der Feuerwehr bis zur Polizei. Das muss alles hergestellt werden. Es geht nicht nur um wachsende Neubedarfe, sondern auch eine Erneuerung des Bestandes. Schließlich müssen beispielsweise alle Fahrzeuge auf klimafreundliche Antriebe umgestellt werden. Dazu gehört die Umstellung auf Digitalisierung von Netz und Betrieb. Hier besteht ein hoher Investitionsbedarf (mindestens 30 Milliarden Euro). Hinzu kommen die Reaktivierung und der Neuausbau von Strecken, der Bau von Weichen und die Erweiterung von einspurigen Strecken zu mehrspurigen Strecken, wodurch die Netzkapazität bedeutend erhöht wird und wofür viele Arbeitskräfte gebraucht werden.

Für das Szenario, das vorsieht, dass die Fahrgäste bei ÖPNV und Bahn um den Faktor 2,5 anwachsen, veranschlagt Mario Candeias, einer der Autoren der Studie, einen Mehrbedarf von 235.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in dem Bereich Busse und Straßenbahnen. Hinzu kommt ein zusätzlicher Personalbedarf von zwischen 15.000 und 50.000 Arbeitsplätzen beim fahrenden Personal und beim Service bei Bahn und ÖPNV.

Beispiel Wohnungssektor

Die Autoren der Studie „One Million Climate Jobs“ untersuchen, wie hoch der Arbeitskräftebedarf für die ökologische Umrüstung von Wohnhäusern, Büro- und Verwaltungs- sowie gewerblich genutzten Gebäuden ist. Sie sehen für einen Zeitraum von zehn Jahren ein Potential von zusätzlichen 2.300.000 Arbeitsplätzen. Allein für das Umrüsten von Wohnhäusern und gewerblichen Gebäuden werden 2.200.000 Arbeiter*innen gebraucht. Dazu kämen 20.000 Energiegutachter*innen, 20.000 Retrofit-Designer*innen (Designen von Nachrüstungsarbeiten), Projektmanager*innen und 20.000 Support-Mitarbeitenden, die bei der Planung und Verwaltung helfen. Bei der Herstellung/Bereitstellung von Materialien für die Umrüstung der Gebäude würde Arbeit für weitere 200.000 Menschen anfallen. Da wir es im Bereich der Umrüstung von Gebäuden mit sehr komplexen Aufgaben zu tun haben, sind die Tätigkeiten entsprechend anspruchsvoll und erfordern ein hohes Maß an Qualifizierung.

Beispiel Pflege, Gesundheit, Bildung

Eine Studie der Rosa Luxemburg Stiftung sieht im Bereich Pflege, Gesundheit, Bildung ein Potenzial von bis zu vier Millionen zusätzlichen Beschäftigten. Schon allein im Kita-Bereich – von Krippen bis Horten – sind gegenüber heute gut 400.000 rechnerische Vollzeitkräfte an pädagogischem Personal mehr erforderlich, wenn zur Bedarfsabdeckung auch noch die Durchsetzung der fachlich empfohlenen Personalschlüssel hinzutritt. Einschließlich Verwaltung, Verpflegung, Reinigung, Supervision usw. liegt das Potenzial an zusätzlicher Beschäftigung noch deutlich höher. Im Bildungsbereich besteht Personalmangel von den Schulen über die Hochschulen bis zur Weiterbildung. Mit Blick auf konkrete Bedarfe, wie den Ausbau pädagogischen Ansprüchen genügender Ganztagsschulen, besseren Betreuungsverhältnissen, mehr Schulsozialarbeit und Inklusion, stellen sie einen zusätzlichen Bedarf von mehreren Hunderttausend Vollzeitstellen fest. In der Krankenhauspflege beläuft sich der Mehrbedarf auf mindestens 100.000 Vollzeitkräfte; in der Altenpflege ist er perspektivisch noch wesentlich höher. Würde bezogen auf die heute Pflegebedürftigen bei konstanter Versorgung durch pflegende Angehörige die Personalausstattung so gestärkt, dass fachliche Standards nicht nur auf dem Papier stehen, wären mehrere Hunderttausend Kräfte zusätzlich nötig. Tendenz zukünftig stark steigend. Auch im Bereich der kulturellen Dienste gibt es einen nicht unerheblichen Bedarf. Dieser bewegt sich, wenn vor allem auf die öffentliche Beschäftigung im Bereich Bibliotheken, Museen und Parks abgestellt wird, mit Blick auf Skandinavien im Bereich von 100.000 Stellen aufwärts. Eine große Rolle käme professionell geführten und zu kommunalen Begegnungsstätten ausgebauten öffentlichen Bibliotheken zu.

Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten: Tax the Rich

Die oben genannten Maßnahmen sind technisch machbar. Die Hürden für ihre Umsetzung liegen im politischen Bereich. Um das, was technisch machbar ist, Wirklichkeit werden zu lassen, bräuchte es grundlegende politische Veränderungen und tiefgreifende Umbrüche in den sozialen Strukturen in diesem Land. Klar ist, dass massive Investitionen erforderlich sind. Leider hat die Linke es bisher nicht zustande gebracht, detaillierte Studien über den Bedarf zu erstellen.

Parolen, die auf der Demonstration gegen den G7-Gipfel in München gerufen wurden, deuten an, um welche finanziellen Dimensionen es hier geht: „100 Milliarden für die Bildung“, „100 Milliarden für die Pflege“, „100 Milliarden für die erneuerbaren Energien“ oder „100 Milliarden für die Verkehrswende“. Die Kosten der notwendigen Investitionen für den ökologischen Umbau zentraler Sektoren der Gesellschaft aufzubringen, ist nur möglich, wenn ein Zugriff auf den unermesslichen Reichtum erfolgt, über den die kleine superreiche Minderheit verfügt.

Bekanntlich ist die BRD für die Superreichen ein Steuerparadies. Es gibt hier keine Vermögenssteuer und keine Erbschaftssteuer, die diesen Namen verdienen. Auf Gewinne aus Kapital und Aktien wird eine Billigsteuer erhoben. Die großen DAX-Konzerne haben ihr Vermögen in den vergangenen zwei Jahren massiv gesteigert. Oxfam spricht von „obszönen“ Krisengewinnen. Viele Milliarden Euros des Gelds der Reichen vagabundieren als Spekulationsgeld durch die internationalen Finanzmärkte auf der Suche nach der maximalen Rendite.

Zu Zeiten der Kohl-Regierung lagen der Spitzensteuersatz und die Steuern auf Unternehmensgewinne deutlich höher als heute. Wären die Steuern auf dem Niveau der Zeit der Kohl-Regierungen würde der Fiskus jährlich 45 bis 50 Milliarden Euro mehr in der Kasse haben.

Durch staatlich begünstigte Steuerhinterziehung wie die bewusste personelle Unterbesetzung der Finanzämter durch Steuerfahnder und eine Politik der gezielten Verhinderung von Betriebsprüfungen gehen nach Schätzung von monitor-Redakteuren jährlich potentiell 70 Milliarden Euro an Steuern verloren. Leider scheint Oxfam derzeit die einzige international wirklich relevante Organisation zu sein, die lautstark und konsequent eine stärkere Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen verlangt. DIE LINKE hat zum Thema Steuern für Reiche viel Papier beschrieben. Aber in der täglichen politischen Arbeit spielt das Thema Umverteilung bei der Partei kaum mehr eine Rolle.

Die Eigentumsfrage stellen!

Wer ernsthaft den erforderlichen radikalen ökologischen Umbruch anstrebt, muss nicht nur massiv in die Besitzstände der Superreichen eingreifen, sondern kommt nicht darum herum, die Eigentumsfrage zu stellen, sprich maßgebliche Sektoren der Volkswirtschaft zu entprivatisieren und unter öffentliche Kontrolle zu stellen.

Erfreulicherweise ist in den letzten Wochen und Monaten eine Diskussion um Vergesellschaftung in Gang gekommen. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat ein Buch vorgelegt, in dem sie skizziert, wie das konkret vonstattengehen kann. Es hat sich eine Initiative „RWE und Co. Enteignen“ gegründet, die für die Enteignung der Stromkonzerne und die Vergesellschaftung der Energieproduktion eintritt. Anfang Oktober gibt es in Berlin eine Konferenz „Vergesellschaftung – Strategien für eine demokratische Wirtschaft“, in der die Vergesellschaftung weiterer Sektoren der Volkswirtschaft auf der Themenliste stehen.

Es ist zu hoffen, dass es in den nächsten Monaten gelingt, den Begriff Vergesellschaftung mit konkretem Inhalt zu füllen, indem eine Erdung in den Problemen unseres Alltags hergestellt wird. Das ist der Weg, wie wir für unsere Konzepte der Umgestaltung von Infrastruktur und Industrie in weiteren Bevölkerungskreisen Zuspruch gewinnen und damit wieder wirkmächtig werden können.

 

 

Ukrainer:innen auf einem zerstörten russischen Panzer am Stadtrand von Kiew im April 2022. Bild: manhhai / CC BY 2.0

Noam Chomsky sagt: Die Meinungsfilterung im Ukraine-Krieg ist extrem und schädlich. Es braucht Verhandlungen und diplomatischen Kompromiss. Das sei weiter möglich.

Das Interview führt der Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou. Es erschien zuerst auf der US-Nachrichtenseite Truthout [1].

Sechs Monate sind seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vergangen, doch ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Putins Strategie ging gewaltig nach hinten los, da es nicht nur nicht gelang, Kiew zu stürzen, sondern auch das westliche Bündnis wiederbelebte, während Finnland und Schweden ihre jahrzehntelange Neutralität beendeten und der Nato beitraten. Der Krieg hat außerdem eine massive humanitäre Krise ausgelöst, die Energiepreise in die Höhe getrieben und Russland zu einem Pariastaat gemacht. Vom ersten Tag an bezeichneten Sie die Invasion als verbrecherischen Akt der Aggression und verglichen sie mit dem Einmarsch der USA in den Irak und dem Einmarsch Hitlers und Stalins in Polen, auch wenn sich Russland durch die Nato-Osterweiterung bedroht fühlte. Ich vermute, dass Sie diese Ansicht immer noch vertreten. Glauben Sie, dass Putin eine Invasion nicht in Erwägung gezogen hätte, wenn er sich klar darüber gewesen wäre, dass sein militärisches Abenteuer in einem langwierigen Krieg enden würde?

Noam Chomsky ist Professor für Linguist, US-Kritiker und Aktivist. Er hat rund 150 Bücher geschrieben.

Noam Chomsky: Putins Gedanken zu lesen, ist zu einer Art Kaffeesatzleserei geworden, die sich durch die extreme Zuversicht derjenigen auszeichnet, die die spärlichen Kaffeespuren interpretieren. Ich habe einige Vermutungen, aber sie beruhen nicht auf besseren Belegen als die anderer, die wenig Substanz haben.

Ich vermute, dass der russische Geheimdienst mit der US-Regierung in der Annahme übereinstimmte, dass die Eroberung Kiews und die Einsetzung einer Marionettenregierung ein leichtes Unterfangen sein würde und nicht das Debakel, zu dem es wurde. Hätte Putin bessere Informationen über den ukrainischen Willen und die Fähigkeit zum Widerstand sowie über die Unfähigkeit des russischen Militärs gehabt, wären seine Pläne wohl anders ausgefallen.

Vielleicht hätte er dann das gemacht, was viele informierte Analysten erwartet haben und was Russland nun als Plan B zu verfolgen scheint: nämlich den Versuch zu unternehmen, die Kontrolle über die Krim und den Transitweg nach Russland zu abzusichern und den Donbas zu übernehmen.

Möglicherweise hätte Putin aufgrund besserer Geheimdienstinformationen die Klugheit besessen, auf die zaghaften Initiativen Macrons für eine Verhandlungslösung zu reagieren, die den Krieg vermieden hätten, und vielleicht sogar zu einer europäisch-russischen Annäherung nach dem Vorbild der Vorschläge von de Gaulle und Gorbatschow überzugehen. Alles, was wir wissen, ist, dass die Initiativen verächtlich abgetan wurden, was Russland teuer zu stehen gekommen ist. Stattdessen begann Putin einen mörderischen Angriffskrieg, der in der Tat mit der US-Invasion im Irak und dem Hitler-Stalin-Überfall auf Polen gleichzusetzen ist.

Dass Russland sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht fühlte und damit gegen die eindeutigen Zusagen an Gorbatschow verstieß, hat praktisch jeder hochrangige US-Diplomat, der mit Russland vertraut war, schon dreißig Jahre lang, also lange vor Putin, betont. Um nur eines von vielen Beispielen zu nennen: 2008, als er Botschafter in Russland war und Bush II die Ukraine leichtsinnigerweise zum Nato-Beitritt einlud, warnte der heutige CIA-Direktor William Burns, dass "der Beitritt der Ukraine zur Nato für die russische Elite (nicht nur für Putin) die klarste aller roten Linien ist".

Er fügte hinzu:

Ich habe noch niemanden gefunden, der den Beitritt der Ukraine zur Nato als etwas anderes betrachtet hat als einen direkte Angriff auf russische Interessen.

Ganz allgemein bezeichnete Burns die Nato-Ausweitung nach Osteuropa bestenfalls als verfrüht und schlimmstenfalls als unnötige Provokation. Sollte die Erweiterung die Ukraine einbeziehen, so warnte Burns, könne es keinen Zweifel geben, dass Putin hart zurückschlagen würde.

Burns wiederholte damit lediglich die allgemeine Auffassung auf höchster Regierungsebene, die bis in die frühen 90er Jahre zurückreicht. Der Verteidigungsminister von Bush II, Robert Gates, erkannte, dass "der Versuch, Georgien und die Ukraine in die Nato einzubinden, wirklich zu weit ginge und ... rücksichtslos ignoriert, was die Russen als ihre eigenen lebenswichtigen nationalen Interessen betrachten."

Die Warnungen aus informierten Regierungskreisen waren eindringlich und unmissverständlich. Ab der Präsidentschaft von Bill Clinton wurden sie von Washington zurückgewiesen. Und zwar bis zum heutigen Tag.

Diese Schlussfolgerung wird durch die vor kurzem veröffentlichte, umfassende Untersuchung der Washington Post über die Hintergründe der Invasion bestätigt. In ihrer Rezension der Studie stellen George Beebe und Anatol Lieven fest, dass

die Bemühungen der Biden-Administration, den Krieg gänzlich abzuwenden, ziemlich unzureichend erscheinen. Wie Außenminister Sergej Lawrow in den Wochen vor der Invasion sagte, ist für Russland "der wesentliche Schlüssel die Garantie, dass die Nato nicht nach Osten expandiert". Im Bericht der Post wird jedoch nirgends erwähnt, dass das Weiße Haus konkrete Kompromisse hinsichtlich der künftigen Aufnahme der Ukraine in die Nato in Erwägung zog.

Vielmehr, wie das Außenministerium bereits einräumte,

unternahmen die Vereinigten Staaten keine Anstrengungen, um auf eines der von Wladimir Putin am häufigsten geäußerten wichtigsten Sicherheitsanliegen einzugehen – die mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine.

Kurzum, die Provokationen wurden bis zur letzten Minute fortgesetzt. Sie beschränkten sich nicht darauf, die Verhandlungen zu unterminieren, sondern umfassten auch die Ausweitung des Vorhabens, die Ukraine in das Militärkommando der Nato zu integrieren und sie so zu einem De-Facto-Mitglied der Nato zu machen, wie es in US-Militärzeitschriften heißt.

Russland soll härter bestraft werden als Deutschland im Versailler Vertrag

Diese Provokationsakte der USA sind vermutlich auch der Grund, dass der russische Angriff nun ständig auch als "unprovoziert" bezeichnet wird – ein Begriff, der sonst kaum oder gar keine Verwendung findet, in diesem Fall aber in intellektuellen Kreisen fast automatisch eingefügt wird. Für Psychologen dürfte es kein Problem sein, dieses merkwürdige Verhalten zu erklären.

Obwohl die Provokationen trotz der Warnungen über viele Jahre hinweg konsequent und bewusst ausgeübt wurden, rechtfertigen sie natürlich in keiner Weise Putins Rückgriff auf "das schlimmste internationale Verbrechen" der Aggression gegen ein anderes Land. Provokationen können zwar zur Erklärung eines Verbrechens beitragen, aber sie sind keine Rechtfertigung für ein solches.

Was die Bezeichnung Russlands als "Pariastaat" betrifft, so halte ich einige Einschränkungen für angebracht. In Europa und dem englischsprachigen Raum ist Russland sicherlich nun ein Pariastaat, und zwar in einem Ausmaß, das selbst erfahrene Kalte Krieger verblüfft hat. Graham Fuller, über viele Jahre hinweg eine der führenden Persönlichkeiten der US-Geheimdienste, sagte vor kurzem:

Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine so heftige US- Medienblitzkampagne gesehen wie die, die wir heute in Bezug auf die Ukraine erleben. Die USA setzen nicht nur ihre Interpretation der Ereignisse durch, sondern dämonisieren in großem Stil Russland als Staat, Gesellschaft und Kultur. Die Parteilichkeit ist außergewöhnlich – so etwas habe ich auch nicht erlebt, als ich während des Kalten Krieges mit russischen Angelegenheiten befasst war.

Nimmt man den Kaffeesatz wieder zur Hand, könnte man vielleicht vermuten, dass, wie bei der quasi-verordneten Bezugnahme auf die "unprovozierte" Invasion, wiederum Schuldgefühle hineinspielen.

Das ist die Haltung der USA wie auch, in unterschiedlicher Ausprägung, die ihrer engen Verbündeten. Der größte Teil der Welt steht jedoch weiterhin abseits und verurteilt die Aggression, unterhält aber normale Beziehungen zu Russland, so wie die Kritiker der amerikanisch-britischen Invasion im Irak normale Beziehungen zu den (völlig unprovozierten) Aggressoren unterhielten. Man macht sich zudem lustig über die jetzigen Proklamationen über Menschenrechte, Demokratie und "Unverletzlichkeit der Grenzen" vom Weltmeister in Sachen internationale Gewalt und Staatsstürze – Dinge, die der globale Süden aus reichlicher Erfahrung gut kennt.

Russland behauptet, dass die USA direkt in den Ukraine-Krieg verwickelt sind. Führen die USA einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine?

Noam Chomsky: Dass die USA stark in den Krieg verwickelt sind, und das mit Stolz, steht nicht in Frage. Dass sie einen Stellvertreterkrieg führen, davon ist man außerhalb der europäisch-angloamerikanischen Welt überzeugt. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Die offizielle US-Politik ist erklärtermaßen, dass der Krieg so lange fortgesetzt werden muss, bis Russland so stark geschwächt ist, dass es keine weiteren Aggressionen mehr unternehmen kann.

Diese Politik wird mit sich überschlagenden Erklärungen über einen kosmischen Kampf von Demokratie, Freiheit und dem Guten gegen das ultimative Böse gerechtfertigt, das auf globale Eroberung aus ist. Die heiß laufende Rhetorik ist nicht neu. Das Märchen von Gut gegen Böse erreichte im wichtigsten Dokument des Kalten Krieges, dem NSC 68, seinen Comedy-Style-Höhepunkt und ist auch sonst häufig aufzufinden.

Wörtlich genommen bedeutet die offizielle US-Politik, dass Russland härter bestraft werden muss als Deutschland im Versailler Vertrag von 1919. Die es betrifft werden dieses Ziel wahrscheinlich wörtlich nehmen, was natürlich Konsequenzen für ihre Reaktion hat.

Die Einschätzung, dass sich die USA einem Stellvertreterkrieg verschrieben haben, wird durch die öffentliche Debatte im Westen gestützt. Während ausgiebig darüber diskutiert wird, wie man die russische Aggression effektiver bekämpfen kann, findet man kaum ein Wort darüber, wie man dem Schrecken ein Ende bereiten könnte – ein Schrecken, der weit über die Ukraine hinausgeht. Diejenigen, die es wagen, diese Frage aufzuwerfen, werden in der Regel verunglimpft, selbst sonst so verehrte Persönlichkeiten wie Henry Kissinger – obwohl interessanterweise Aufrufe zu einer diplomatischen Lösung ohne die übliche Dämonisierung auskommen, wenn sie in den tonangebenden Zeitschriften des Establishments erscheinen.

Welche Begrifflichkeit man auch immer bevorzugt, die grundlegenden Fakten über die Politik und die Pläne der USA sind klar. "Stellvertreterkrieg" scheint mir ein angemessener Begriff zu sein, aber was zählt, sind Politik und Pläne.

Wie zu erwarten war, hat die Invasion auch zu einem langwierigen Propagandakrieg auf allen beteiligten Seiten geführt. In diesem Zusammenhang sagten Sie kürzlich, dass die Amerikaner durch das Verbot des Fernsehsenders Russia Today (RT) und anderen russischen Medien weniger Zugang zum offiziellen Gegner haben als die Sowjets in den 1970er Jahren. Können Sie das etwas näher erläutern, zumal Ihre Aussage über Zensur in den USA im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg völlig verzerrt wurde, so dass der Eindruck vermittelt wurde, Sie meinten, die Zensur in den USA sei heute schlimmer als im kommunistischen Russland?

Noam Chomsky: Auf der russischen Seite ist der Propagandakrieg im Inland extrem. Auf amerikanischer Seite gibt es zwar keine offiziellen Verbote, aber die Beobachtungen von Graham Fuller lassen sich kaum leugnen.

Buchstäbliche Zensur ist in den USA und anderen westlichen Gesellschaften selten. Doch wie George Orwell 1945 in seiner (unveröffentlichten) Einleitung zu seinem Buch "Farm der Tiere" schrieb, bestehe das "Düstere" freier Gesellschaften darin, dass die Zensur

weitgehend freiwillig ist. Unpopuläre Ideen können zum Schweigen gebracht und unbequeme Tatsachen im Dunkeln gehalten werden, ohne dass ein offizielles Verbot erforderlich ist.

Was im Allgemeinen ein wirksameres Mittel der Gedankenkontrolle ist als offene Gewalt.

Orwell bezog sich auf England, aber das Problem geht darüber hinaus. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Der hoch angesehene Nahostwissenschaftler Alain Gresh wurde vom französischen Fernsehen zensiert, weil er sich kritisch zu Israels jüngsten terroristischen Verbrechen im besetzten Gaza geäußert hatte.

Gresh stellte fest, dass "diese Form der Zensur außergewöhnlich ist. In der Palästina-Frage wird sie nur selten auf so offensichtliche Weise praktiziert". Eine wirksamere Form der Zensur werde durch die sorgfältige Auswahl der Kommentatoren ausgeübt. Sie gelten als akzeptabel, so Gresh, wenn sie "die Gewalt bedauern" und gleichzeitig hinzufügen, dass Israel "das Recht hat, sich zu verteidigen", und die Notwendigkeit betonen, "Extremisten auf beiden Seiten zu bekämpfen", aber "es scheint keinen Platz für diejenigen zu geben, die Israels Besatzung und Apartheid radikal kritisieren."

In den Vereinigten Staaten sind solche Mittel, mit denen unpopuläre Ideen zum Schweigen gebracht werden und unbequeme Fakten im Dunkeln gehalten werden können, zu einer ausgefeilten, impliziten Technik entwickelt worden, wie man es in freien Gesellschaft erwarten kann, die nicht offensichtlich Meinungen unterdrücken können. Mittlerweile gibt es buchstäblich Tausende von Seiten, die diese Praktiken in allen Einzelheiten dokumentieren. Bewundernswerte Organisationen, die professionell Medienkritik betreiben wie FAIR in den USA und Media Lens in England, veröffentlichen regelmäßig weitere Analysen.

Die Vorteile westlicher Indoktrinationsmodelle gegenüber den plumpen, leicht zu durchschauenden Maßnahmen totalitärer Staaten sind breit diskutiert worden. Die ausgefeilteren Instrumente der freien Gesellschaft verbreiten ideologische Sichtweisen über implizite Annahmen in der Darstellung, wie Gresh sie schildert, nicht durch explizite Verbote. Die Regeln werden nicht als solche öffentlich festgelegt, sondern im Stillen vorausgesetzt. Debatten sind erlaubt, ja sogar erwünscht, aber innerhalb von Grenzen, die unausgesprochen und starr sind. Sie werden im Prozess verinnerlicht. Wie Orwell es ausdrückt, haben diejenigen, die einer subtilen Indoktrination unterworfen sind, z. B. im Zuge einer guten Ausbildung, ein Vorverständnis dafür entwickelt, dass es bestimmte Dinge gibt, die "man nicht sagen darf" – oder sogar, die man denken muss.

Die Formen der Indoktrination müssen nicht bewusst sein. Diejenigen, die sie anwenden, haben bereits verinnerlicht, dass es bestimmte Dinge gibt, die man "nicht sagen" – oder gar denken - sollte.

Solche Mittel sind besonders wirksam in einer hochgradig auf sich bezogenen Kultur wie der US-amerikanischen – in der nur wenige auf die Idee kommen, andere Informationsquellen außerhalb des eigenen Landes zu nutzen, vor allem die eines verachteten Landes –, und in der der Anschein grenzenloser Freiheit keinen Anreiz bietet, über den etablierten Rahmen hinauszugehen.

Verbot von russischen Medien: "Außergewöhnlich"

In diesem Kontext habe ich über das Verbot russischer Quellen wie RT gesprochen – eines Verbots, das eigentlich "außergewöhnlich" ist, wie Gresh zu Recht betont. Ich konnte aus Zeitgründen in dem Interview darauf nicht näher eingehen. Das direkte Verbot erinnerte mich aber an ein interessantes Thema, über das ich vor dreißig Jahren geschrieben hatte. In dem Artikel von damals ging es um Fälle, bei denen ich eine Reihe von bekannten Methoden, wie sie in freien Gesellschaften angewendet werden, um unliebsame Ideen und unerwünschter Fakten zu unterdrücken, untersuchte.

Ich ging auch auf akademische Studien ein, die im Auftrag der Regierung herauszufinden versuchten, woher die Russen in den 70er Jahren, also der späten Sowjetzeit vor Gorbatschow, ihre Nachrichten bezogen. Die Ergebnisse zeigten, dass trotz der strengen Zensur ein bemerkenswert hoher Prozentsatz der Russen Quellen wie die BBC und sogar den illegalen Samisdat nutzte (bezeichnete in der UdSSR und später auch in weiten Teilen des Ostblocks die Verbreitung von alternativer, nicht systemkonformer, zumeist verbotener "grauer" Literatur über nichtoffizielle Kanäle, Telepolis) und möglicherweise besser informiert war als die Amerikaner.

Ich habe mich seinerzeit bei russischen Emigranten erkundigt, die von ihren Erfahrungen berichteten, wie sie die ins Privatleben eingreifenden, aber nicht sehr effizienten Zensurmaßnahmen umgingen. Sie bestätigten im Wesentlichen das Bild der Regierungsstudie, obwohl sie der Meinung waren, dass die Zahlen zu hoch seien, möglicherweise, weil die Stichproben wegen der Konzentration auf Leningrad und Moskau verzerrt waren.

Veröffentlichungen von Medien des gegnerischen Lands zu verbieten, ist nicht nur unrechtmäßig, sondern auch schädlich. So wäre es für die Amerikaner wichtig gewesen, zu wissen, dass der russische Außenminister unmittelbar vor der Invasion betonte, dass "der Schlüssel zu allem die Garantie ist, dass die Nato nicht nach Osten in die Ukraine expandiert" – die erklärte rote Linie Russlands seit Jahrzehnten. Wäre man bestrebt gewesen, die schrecklichen Verbrechen zu vermeiden und eine bessere Welt zu schaffen, hätte man diese Möglichkeit ausloten können.

Dasselbe gilt für die Äußerungen der russischen Regierung, als die Invasion bereits im Gange war, z. B. Lawrows Erklärung vom 29. Mai:

Unsere Ziele sind: die Entmilitarisierung der Ukraine (auf ihrem Territorium sollten sich keine Waffen befinden, die Russland bedrohen); die Wiederherstellung der Rechte von Russen im Einklang mit der ukrainischen Verfassung (das Kiewer Regime hat sie durch die Verabschiedung russlandfeindlicher Gesetze verletzt) und internationalen Übereinkommen (an die die Ukraine gebunden ist); und die Entnazifizierung der Ukraine. Theorie und Praxis der Nazis und Neonazis haben das tägliche Leben in der Ukraine tief durchdrungen und sind in den Gesetzen des Landes kodifiziert.

Es könnte für die Amerikaner nützlich sein, diese Worte im Fernsehen hören zu können, zumindest für diejenigen Amerikaner, die ein Interesse daran haben, den Schrecken zu beenden, anstatt sich in den apokalyptischen Kampf zu stürzen, der aus dem Kaffeesatz heraufbeschworen wurde, um den "wütenden Bären" zu bändigen, bevor er uns alle verschlingt.

Die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine stagnieren seit dem Frühjahr. Offenbar will Russland den Frieden zu seinen eigenen Bedingungen erzwingen, während die Ukraine offenbar den Standpunkt vertritt, dass es keine Verhandlungen geben kann, solange sich Russlands Aussichten auf dem Schlachtfeld nicht verschlechtern. Sehen Sie in absehbarer Zeit ein Ende des Konflikts? Sind Verhandlungen zur Beendigung des Krieges eine Beschwichtigung, wie diejenigen behaupten, die gegen Friedensgespräche sind?

Noam Chomsky:  Ob die Verhandlungen ins Stocken geraten sind, ist nicht ganz klar. Es wird wenig darüber berichtet, aber es scheint möglich, dass
Gespräche zur Beendigung des Krieges wieder auf der Tagesordnung stehen: Ein Treffen zwischen der Ukraine, der Türkei und den Vereinten Nationen zeigt, dass sich Kiew für Gespräche mit Moskau erwärmen könnte, und dass "angesichts der russischen Gebietsgewinne" die Ukraine "ihren Widerstand gegen eine diplomatische Beendigung des Krieges aufgeweicht hat". Wenn dem so ist, liegt es an Putin zu zeigen, ob seine "erklärte Bereitschaft für Verhandlungen wirklich ein Bluff " oder ernsthaft ist.

Die Lage ist undurchsichtig. Es erinnert an die "afghanische Falle", als die USA einen Stellvertreterkrieg mit Russland "bis zum letzten Afghanen" führten, wie Cordovez und Harrison es in ihrer richtungweisenden Studie ausdrücken. Die Studie zeigt, wie es den Vereinten Nationen damals gelang – trotz der Bemühungen der USA, eine diplomatische Lösung zu verhindern –, einen russischen Abzug zu erreichen. Das war die Zeit, in der Jimmy Carters Nationaler Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski – der für sich in Anspruch nahm, die russische Invasion angestiftet zu haben –, das Endresultat begrüßte, auch wenn es um den Preis einiger "aufgeregter Muslime" erwirkt wurde. Erleben wir heute etwas Ähnliches? Vielleicht.

Noam Chomsky: Zweifellos will Russland den Frieden zu seinen eigenen Bedingungen durchsetzen. Eine diplomatische Verhandlungslösung ist eine, die jede Seite akzeptieren muss, während sie auf einige der eigenen Forderungen verzichtet. Es gibt nur einen Weg, um herauszufinden, ob es Russland mit den Verhandlungen ernst ist: Man muss es versuchen. Es ist nichts verloren.
Was die Aussichten auf dem Schlachtfeld betrifft, so gibt es zuversichtliche sowie sich stark widersprechende Aussagen von Militärexperten. Ich verfüge nicht über die notwendige Expertise. Ich denke, man kann aber festhalten, dass sich der Nebel des Krieges nicht gelichtet hat. Wir wissen, welches die Position der USA ist, oder zumindest im letzten April war. Auf der von den USA organisierten Konferenz der Nato-Staaten und anderer militärischer Führer am Militärstützpunkt Ramstein hieß es:
Die Ukraine glaubt fest, dass sie gewinnen kann, und alle hier glauben das auch.

Ob das damals tatsächlich geglaubt wurde oder heute noch geglaubt wird, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wie man es herausfinden könnte. Auf jeden Fall schätze ich persönlich die Worte von Jeremy Corbyn. Seine Aussagen wurden am Tag nach der Eröffnung der Kriegskonferenz in Ramstein veröffentlicht und haben dazu beigetragen, dass er buchstäblich aus der Labour-Partei ausgeschlossen wurde:
Es muss einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine geben, gefolgt von einem russischen Truppenabzug und einer Einigung zwischen Russland und der Ukraine über zukünftige Sicherheitsvereinbarungen. Alle Kriege enden in irgendeiner Form mit einer Verhandlung – warum also nicht jetzt?

Noam Chomsky ist Professor emeritus für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology und Ehrenprofessor an der Universität von Arizona, politischer Dissident und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm zusammen mit Marv Waterstone im Westend Verlag: "Konsequenzen des Kapitalismus. Der lange Weg von der Unzufriedenheit zum Widerstand" [2].

Vorbemerkung: Ich weiß, ein sicher teilweise fragwürdiges Personal aus dem Haus der Herrschenden - aber immerhin eine deutlich andere und gewichtige Gegenstimme zu dem hiesigen kriegerischen Trommelwirbel (bereits vom Juni 22).
 
BG, hn
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"Die Trommelschläge des Kriegs müssen Worten des Friedens weichen"

Ein Zermürbungskrieg droht in der Ukraine. Politiker müssen Mut zum Verhandeln zeigen, positiver Friede ist möglich. Telepolis dokumentiert einen Aufruf rund um den US-Ökonomen Jeffrey Sachs.

Der Krieg in der Ukraine dauert schon über vier Monate an. Im Herzen Europas setzt sich damit eine militärische Auseinandersetzung fest, die nicht nur großes Leid in der Ukraine erzeugt, sondern auch eine weltweite Katastrophe auslöst. Sie bedroht nicht zuletzt einen Großteil dessen, was früher als "Dritte Welt" bekannt war, mit Hunger. Selbst in den reichen Industrieländern erzeugt die Inflation Kostensteigerungen und sozialen Druck.

In der Zwischenzeit, kaum bemerkt, aber noch katastrophaler, sind die neuesten Nachrichten über den Kohlenstoff, den die umkämpfte Menschheit in die Atmosphäre entlässt. Sie sind alles andere als erfreulich. Die CO2-Emissionen sind im schlimmsten Covid-Jahr tatsächlich leicht gesunken, aber 2021 wieder deutlich angestiegen. Wie die National Oceanic and Atmospheric Administration kürzlich bekannt gab, befindet sich heute mehr Kohlenstoff in der Atmosphäre als jemals zuvor in den letzten vier Millionen Jahren. Das hat auch mit einem Run auf fossile Energieträger im Zuge des Russland-Embargos und gestiegener Preise zu tun.

Jeffrey David Sachs ist ein US-amerikanischer Ökonom und Sonderberater der Millennium Development Goals. Er ist Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network - mit einer sehr schillernden Biografie..... (hn)

Der Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre ist jetzt offiziell 50 Prozent höher als in der vorindustriellen Welt. Waldbrände in Brandenburg, Megadürren im Südwesten der USA, beispiellose Hitzewellen in Indien, Pakistan, Spanien und anderswo sind Warnzeichen dafür, den Kurs zu ändern. Der Krieg ist tatsächlich nicht nur ein gefährlicher Konfliktherd, letztlich ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und den Nato-Staaten auf der einen und Russland, mit China im Hintergrund, auf der anderen Seite. Er heizt zugleich die planetare Bedrohung weiter an.

Eine internationale Arbeitsgruppe um den US-amerikanischen Ökonomen und Direktors des UN Sustainable Development Solution Network Jeffrey Sachs traf sich am 6. und 7. Juni in der Casina Pio IV, Vatikanstadt, um Lösungen für einen "gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine" zu erarbeiten.

Telepolis dokumentiert die dort entstandene "Erklärung der Teilnehmer der Studiengruppe Wissenschaft und Ethik des Glücks", die unter anderen der italienische Ministerpräsident Romano Prodi und der ehemalige spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos unterzeichnet haben, in deutscher Übersetzung.

Wie ist ein gerechter und dauerhafter Frieden in der Ukraine zu erreichen?

Erklärung der Teilnehmer der Studiengruppe Wissenschaft und Ethik des Glücks; Treffen in der Casina Pio IV, Vatikanstadt, 6. bis 7. Juni 2022

"Jesus lehrte die Welt, dass Friedensstifter gesegnet sind, denn sie sind Kinder Gottes. Während der Krieg in der Ukraine tobt, braucht die Welt Friedensstifter, die den Kriegsparteien helfen, statt eines anhaltenden Konflikts den Frieden zu wählen. Die USA, die Europäische Union, die Türkei, China und andere Länder sollten den beiden Seiten helfen, sich mit einem ausgehandelten Friedensabkommen sicher zu fühlen.

Für die Ukraine bedeutet Sicherheit, dass auf ein Friedensabkommen keine erneuten russischen Drohungen oder Übergriffe folgen werden. Für Russland bedeutet Sicherheit, dass ihrem Rückzug aus der Ukraine nicht die Osterweiterung der Nato und schwere Bewaffnung der Ukraine folgen werden. Kurz gesagt bedeutet Frieden eine neutrale Ukraine, deren Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität gesichert ist.

Papst Franziskus hat sein Plädoyer für Frieden klar und kraftvoll formuliert: "Ich erneuere meinen Appell an die Regierenden der Nationen: Führt die Menschheit nicht in den Ruin. Bitte! Führt die Menschheit nicht in den Ruin!"

Seine Allheiligkeit, der ökumenische Patriarch Bartholomäus, hat erklärt: "Wir rufen alle beteiligten Parteien auf, diesen Weg des Dialogs und der Achtung des Völkerrechts fortzusetzen, um den Konflikt zu beenden und allen Ukrainern ein harmonisches Leben zu ermöglichen. Waffen sind nicht die Lösung."

Ziel der Friedensstiftung in der Ukraine ist nicht nur ein negativer Frieden – ein Frieden ohne Gerechtigkeit –, sondern ein positiver Frieden, der entschieden auf den vier Säulen der moralischen Beziehungen zwischen den Staaten beruht, die der heilige Johannes XXIII. in seinem maßgeblichen "Pacem in Terris" anerkannt hat: Wahrheit, Gerechtigkeit, bereitwillige Zusammenarbeit und Freiheit (Paragraf 80). Derartige moralische Beziehungen sind nicht nur zwischen Russland und der Ukraine notwendig, sondern auch zwischen Russland, den USA und der Europäischen Union.

Russlands Invasion der Ukraine ist zweifellos eine abscheuliche Verletzung der UN-Charta und des Völkerrechts. Russlands Differenzen mit der Ukraine hätten sicherlich durch vom UN-Sicherheitsrat unterstützte Verhandlungen unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller Länder beigelegt werden müssen.

Nun sollten die düsteren Gegebenheiten der andauernden Schlacht, bei der wahrscheinlich keine Seite einen entscheidenden militärischen Sieg erringen wird, beide Seiten so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch bringen, um die Verlängerung des Kriegs zu verhindern und einen Frieden mit Gerechtigkeit zu erreichen.

Der Krieg in der Ukraine wird sich wahrscheinlich zu einem Zermürbungskrieg entwickeln und statt als offener Sieg einer Seite über die andere als eingefrorener Konflikt oder als ausgehandelter Frieden enden. Ein ausgehandelter Frieden wäre ein besseres Ergebnis als die Opfer eines Zermürbungskriegs und eines eingefrorenen Konflikts sowohl für die Völker als auch für die Regierungen der Ukraine, Russlands, der USA und der EU und des Rests der Welt.

Wenn der Krieg als eingefrorener Konflikt endet, besetzte Russland weiterhin einen beträchtlichen Teil der Ost- und Südukraine, während die westlichen Sanktionen gegen Russland in Kraft blieben. Handel und Investitionen zwischen Russland und dem Westen blieben blockiert, was zu einem allgemeinen Rückgang des Welthandels und der Entwicklung führte. Waffen und Militärpersonal würden auch weiterhin aus externen Quellen in die Ukraine fließen.

Sollte der Krieg stattdessen in einem ausgehandelten Frieden enden, würden weitere schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung der Ukraine und den Militärs beider Seiten vermieden und die Existenz und Unabhängigkeit des ukrainischen Staats könnte gegen äußere Umsturzversuche gesichert werden.

Die meisten der von Russland besetzten Regionen kehrten unter ukrainische Staatshoheit zurück, bestimmte Regionen könnten besonderen Vorschriften unterliegen, das russische Militär würde abgezogen und die westlichen Sanktionen würden aufgehoben, was den Wiederaufbau und ein höheres Sicherheitsniveaus für alle Akteure in der ukrainischen Gesellschaft und den Nachbarländern ermöglichen würde.

Die Basis für ein mögliches Friedensabkommen wurden in der zweiten Märzhälfte skizziert, als bei Verhandlungen beide Seiten gute Fortschritte meldeten, sowie in jüngster Zeit in Italiens Vorschlag eines vierteiligen Friedensplans Ende Mai. In den Verhandlungen in der zweiten Märzhälfte schlug die Ukraine vier Punkte für eine Friedensregelung vor: Neutralität; internationale Sicherheitsgarantien für die Ukraine; einen ausgedehnten Zeitrahmen, um den Status der Krim abschließend festzulegen; und Verhandlungen über "die komplexen Fragen des Donbass".

Auch Italiens Friedensplan hat vier Punkte: Waffenstillstand; Neutralität der Ukraine; laufende Verhandlungen über die Krim und den Donbass; und multilaterale Verhandlungen innerhalb der OSZE sowie zwischen Russland und der Nato über regionale Sicherheitsvereinbarungen.

Während wir uns auf die praktische Weisheit (Phronese) der gesegneten Friedensstifter stützen, basierend auf den feststellbaren Wurzeln des Konflikts, den Verhandlungen im März und den bisherigen Friedensinitiativen, schlagen wir die folgenden Richtgrößen für einen Waffenstillstand und ein positives Friedensabkommen vor:

Neutralität der Ukraine, das heißt der Verzicht auf den staatlichen Ehrgeiz, der Nato beizutreten, bei gleichzeitiger Anerkennung der Freiheit der Ukraine, Abkommen mit der Europäischen Union und anderen abzuschließen;

  • Sicherheitsgarantien für Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine durch die fünf ständigen Mitglieder der Vereinten Nationen (P-5: China, Frankreich, Russland, Großbritannien und Vereinigte Staaten) sowie der Europäischen Union und der Türkei, was militärische Transparenz und Beschränkungen der Stationierung von Militär und groß angelegter Übungen in Grenzgebieten unter internationaler Beobachtung im Zusammenhang mit der Aufhebung von Wirtschaftssanktionen beinhalten könnte;
  • Russische De-facto-Kontrolle der Krim für einen Zeitraum von Jahren, danach würden die Parteien auf diplomatischem Weg eine dauerhafte De-jure-Lösung anstreben, die den erleichterten Zugang für lokale Gemeinschaften sowohl zur Ukraine als auch zu Russland, eine liberale Grenzübergangspolitik für Personen und Handel, die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte und finanzielle Entschädigungen einschließen könnte; Autonomie der Regionen Lugansk und Donezk innerhalb der Ukraine, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Aspekte einschließen könnte, die kurzfristig genauer festgelegt werden;
  • Garantierter wirtschaftlicher Zugang sowohl der Ukraine als auch Russlands zu den Schwarzmeerhäfen beider Länder;
  • Die schrittweise Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland verknüpft mit dem Rückzug des russischen Militärs gemäß dem Abkommen;
  • Einen multilateralen Fonds für Wiederaufbau und Entwicklung der vom Krieg gezeichneten Regionen der Ukraine – an dem auch Russland beteiligt ist – und sofortigen Zugang für humanitäre Hilfe;
  • Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Bereitstellung internationaler Überwachungsmechanismen zur Unterstützung des Friedensabkommens.

Warum die Einwände gegen Friedensverhandlungen nicht greifen

Präsident John F. Kennedy bemerkte weise: "Echter Frieden muss das Produkt vieler Nationen sein, die Summe vieler Taten. Er muss dynamisch und nicht statisch sein, sich mit den Herausforderungen verändern, um jeder neuen Generation gerecht zu werden. Denn Frieden ist ein Prozess – ein Weg, Probleme zu lösen." Um Probleme zu lösen, brauchen wir Zusammenarbeit, und für Zusammenarbeit brauchen wir Vertrauen.

Dauerhafter Frieden hängt daher nicht nur von formellen Verträgen ab, sondern auch von der Zusammenarbeit in Gemeinschaften, über Ethnien, Religionen und Nationalstaaten hinweg. Auch die Medien tragen Verantwortung dafür, dass die Trommelschläge des Kriegs Worten des Friedens weichen.

Die Religionsgemeinschaften stehen an der Spitze des positiven Friedens. Religionsgemeinschaften führen Menschen im Geiste der Menschenwürde und der Gerechtigkeit unter Gott zusammen und haben die Fähigkeit und Mission, Menschen auch über Glauben und Ethnien hinweg zusammenzubringen.

Die katholische Kirche, das Ökumenische Patriarchat, das Moskauer Patriarchat und die Orthodoxe Kirche der Ukraine sind die Säulen eines positiven Friedens sowohl zwischen Russland und der Ukraine als auch innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften in der Ukraine und können eine entscheidende Rolle im nötigen Versöhnungsprozess als Weg zu einem positiven Frieden spielen.

Wir empfehlen den religiösen Führern aller Glaubensrichtungen, Russland und die Ukraine dabei zu unterstützen, einen positiven Frieden anzustreben und sich an die Worte Jesajas zu halten: "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen." Jesaja 2,3-4 Nachtrag: Weitere Überlegungen

Selbst wenn die Kämpfe weitergehen, wird wahrscheinlich weder Russland noch die Ukraine ein Ergebnis erzielen, das besser ist als ein ausgehandelter Frieden. Nichtsdestotrotz werden die oben genannten Bedingungen sicherlich die folgenden vier Einwände hervorrufen, auf die wir unsere Antwort geben.

Einwand 1: Die Ukraine hat das Recht, sich für den Nato-Beitritt zu entscheiden

Während die OSZE-Charta (Absatz 8) das Recht der OSZE-Mitgliedstaaten anerkennt, ihre Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich Bündnisverträge, zu wählen, sind die Staaten auch verpflichtet, "ihre Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten zu stärken".

Stattdessen verpflichteten sie sich, einen gemeinsamen OSZE-Sicherheitsraum "ohne Trennlinien und Zonen mit unterschiedlichem Sicherheitsniveau" zu schaffen (Abs. 1), und es "kommt keinem Staat, keiner Staatengruppe oder Organisationen mehr Verantwortung für die Erhaltung von Frieden und Stabilität im OSZE-Gebiet zu als anderen, noch kann einer/eine von ihnen irgendeinen Teil des OSZE-Gebiets als seinen/ihren Einflussbereich betrachten". (Absatz 8)

Zu diesem Zweck haben sich die Nato-Mitgliedstaaten und die Russische Föderation in der Nato-Russland-Grundakte (1997) verpflichtet, strategische Zurückhaltung und Stabilität zu wahren – durch Rüstungskontrollverpflichtungen und durch die Verbesserung der gegenseitigen Sicherheitszusammenarbeit und die Stärkung der OSZE als gemeinsame Sicherheitsorganisation.

Darüber hinaus ist die Nato nicht verpflichtet, Anträge anderer Staaten auf Beitritt zum Bündnis anzunehmen, vielmehr muss sie die Auswirkungen auf die regionale und strategische Stabilität und die gegenseitige Sicherheit abwägen.

Nach Ansicht Russlands würde die Nato-Erweiterung um die Ukraine und Georgien auf Kosten der Sicherheit Russlands gehen. Mit der beabsichtigten Nato-Erweiterung hätten die USA und ihre Verbündeten die strategische Basis der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim in Besitz nehmen können, neue potenzielle Stationierungsgebiete für Truppen und Raketen in der Nähe der russischen Kernländer geschaffen und damit das strategische Gleichgewicht untergraben; die Nato-Streitkräfte wären in der Lage, den Zugang Russlands zum Schwarzen Meer und zum östlichen Mittelmeer für seine wirtschaftlichen und militärischen Zwecke einzuschränken.

Das sind uralte Überlegungen, die im Krimkrieg (1853 bis 1856) eine Rolle spielten und heute wieder spielen.

Außerdem, während die Nato selbst sich als rein defensives Bündnis bezeichnet, sieht Russland das anders. Russische Führungskräfte und Diplomaten haben wiederholt ihre ernste Besorgnis über die Bombardierung des russischen Partners Serbien durch die Nato 1999 geäußert; die von den USA angeführte "Koalition der Willigen" im Krieg gegen den Irak 2003 gegen die Einwände des UN-Sicherheitsrats; und die Verletzung der Mandate des UN-Sicherheitsrats bei der Bombardierung des russischen Partners Libyen durch die Nato-Verbündeten 2011, die zu einem Regimewechsel und einem anhaltenden Chaos führte.

Nach Ansicht Russlands dient die Nato den geopolitischen Interessen der USA und ihrer Verbündeten weit über ihre erklärte Begründung der kollektiven Verteidigung Westeuropas im Kontext des lang anhaltenden Kalten Kriegs hinaus. Wie auch immer: Obwohl sie solche russischen Bedenken ernst nehmen, rechtfertigen sie in keiner Weise eine militärische Aggression gegen einen souveränen Nachbarstaat.

Einwand 2: Die Ukraine wird bald Gebiete zurückerobern, die Russland seit der Invasion im Februar eingenommen hat

Die Ukraine und ihre Unterstützer behaupten, dass die Ukraine einen Zermürbungskrieg gewinnen wird, und weisen auf den Schaden für die russische Wirtschaft durch westliche Sanktionen und die schlechte Leistung des russischen Militärs hin. Dennoch besetzt Russland eine beträchtliche Menge Land und vergrößert weiterhin die besetzten Gebiete im Donbass.

Nach Angaben des IWF war Russlands BIP im Jahr 2021 mit 1,8 Billionen US-Dollar mit 200 Milliarden US-Dollar etwa 9-mal größer als das BIP der Ukraine. Seit der Invasion befindet sich die ukrainische Wirtschaft in einem verzweifelten Zustand, der mit einem Rückgang von vielleicht 50 Prozent des BIP einen völligen Zusammenbruch droht, während der wirtschaftliche Niedergang Russlands voraussichtlich bei etwa 10 Prozent liegen wird. Einigen Berichten zufolge sind die Dollar-Exporterlöse Russlands sogar gestiegen, nicht gesunken, weil die Sanktionen den Weltmarktpreis für russische Exportgüter erhöht haben, während die Exporteinnahmen der Ukraine eingebrochen sind.

Die Aussichten der Ukraine in einem Zermürbungskrieg hängen daher vollständig von weiterer umfangreicher finanzieller und militärischer Unterstützung des Westens ab. Jedoch schwindet die öffentliche Unterstützung in den USA und der EU für weitere umfangreiche Mittelzuweisungen bereits, insbesondere unter der schweren Last sinkender Lebensstandards infolge der wirtschaftlichen Verwerfungen durch Krieg und Sanktionen.

Einwand 3: Russland sollte für die Invasion bestraft und nicht belohnt werden

Russlands Differenzen mit der Ukraine und mit der Nato hätten sicherlich durch friedliche Verhandlungen gelöst werden müssen. Doch als Russland 2021 versuchte, mit der Biden-Administration und der Nato über die Frage der Nato-Erweiterung zu verhandeln, antworteten die USA und die Nato, das Vorrecht der Ukraine, der Nato beizutreten, sei nicht verhandelbar. Als Russland das Problem des Versagens der Ukraine bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen aufwarf, leisteten die europäischen Garantieländer keine Unterstützung.

Diese Tatsachen rechtfertigen in keiner Weise Russlands Invasion der Ukraine, aber sie helfen, sie zu erklären, und was noch wichtiger ist, sie helfen, Orientierungspunkte aufzuzeigen, die helfen werden, den Krieg zu beenden.

Russland muss auch davon absehen, Narrative zu schaffen, welche die nationale Identität der Ukraine leugnen, und absichtlich Gebiete zurückfordern, von denen es behauptet, dass sie historisch russisch sind, da dies zu einem längeren Krieg führen und alle Chancen auf Versöhnung und Frieden zerstören würde.

Einwand 4: Russland und die Ukraine sind weit von einer Verhandlungslösung entfernt, weshalb die Kämpfe weitergehen werden

Für das Vertrauen in Verhandlungen sprechen folgende Gründe: An der militärischen Front hat sich der Krieg zu einem intensiven Konflikt in einer begrenzten Region der Ukraine (Donbass und südliche Küstenlinie, 20 Prozent des Territoriums der Ukraine) entwickelt. Bodengewinne für beide Seiten sind sehr kostspielig. Die Befürchtungen des Westens, dass Russland die Ukraine überrennen und dann weitere Länder angreifen wird, sind längst vergessen.

Auf der anderen Seite ist auch der Glaube widerlegt, dass Nato-Waffen Russland schnell vom Schlachtfeld verdrängen werden. Außerdem haben sich die Sanktionen des Westens, die einst als Mittel zur Zerschlagung der russischen Wirtschaft galten, als nur begrenzt wirksam und mit hohen Kosten für den Rest der Welt erwiesen.

Beide Seiten haben den Zustand einer "schmerzhaften Pattsituation" erreicht, die lange Zeit als grundlegender Hinweis für die Reife von Konflikten für eine Lösung galt. Eine Verhandlung würde auch das Risiko einer Destabilisierung in Gesellschaften von Nicht-Nachbarländern, in Europa und anderen Kontinenten für die sozialen und wirtschaftlichen Folgen eines anhaltenden Konflikts drastisch reduzieren.

Weder Russland noch die Ukraine werden diese Ausgangslage durch fortgesetzte Kämpfe verbessern. Russland könnte in der Lage sein, mehr ukrainisches Territorium zu hohen Kosten für sein Militär und die russische Wirtschaft zu erobern, aber es wäre wahrscheinlich nicht in der Lage, die Besetzung dieses zusätzlichen Territoriums in ein vorteilhafteres Friedensabkommen umzuwandeln.

Vielmehr würde die Besetzung von noch mehr Territorium oder die einseitige Annexion des Donbass an Russland mit ziemlicher Sicherheit zu einem eingefrorenen Konflikt führen, in dem das Sanktionsregime des Westens in Kraft bliebe, Hunderte von Milliarden Dollar der russischen Devisenreserven blockiert blieben, Handel und Investitionen zwischen Russland und dem Westen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt würden und die finanziellen Lasten des Wiederaufbaus in den besetzten Gebieten vollständig auf Russland fallen würden.

Unwahrscheinlich ist, dass auch die Ukraine diese Ausgangslage durch fortgesetzte Kämpfe verbessern wird. Die USA und andere Nato-Länder haben die Grenzen der Art der militärischen und finanziellen Unterstützung, die sie anbieten werden, klargemacht. Die ukrainische Wirtschaft ist bereits verwüstet, und bei anhaltenden Kämpfen würden noch gravierendere Verluste folgen.

Die Ukraine hat bereits die Realität der Nichterweiterung der Nato eingeräumt, aber der Abschluss einer Einigung mit Russland in diesem Punkt könnte der Ukraine erhebliche Vorteile bei den von Russland vereinbarten Gegenmaßnahmen sichern.

Das größte Hindernis für ein Verhandlungsergebnis ist vielleicht die Angst vor Verhandlungen selbst. Politiker befürchten, dass sie als Beschwichtiger und sogar als Defätisten angegriffen werden, wenn sie am Verhandlungstisch Kompromisse statt eines militärischen Siegs fordern.

Deshalb sind Friedensstifter in dieser Phase so wichtig. Die Rolle Seiner Heiligkeit Papst Franziskus und des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Herrn António Guterres, und anderer geschätzter Friedensstifter könnte zu diesem Zweck von entscheidender Bedeutung sein.

Die Befürworter des Friedens müssen die Politiker stärken, die das Risiko eingehen, Verhandlungen anzustreben. Diejenigen wie Ministerpräsident Mario Draghi, der kürzlich Italiens Vorschläge für den Frieden vorgelegt hat, verdienen unsere tiefste Belobigung. Wir müssen zivilgesellschaftliche Organisationen und die Weltöffentlichkeit für den Frieden mobilisieren und ein Bündnis für den Frieden fordern."

Erstunterzeichner

Jeffrey D. Sachs, Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und Universitätsprofessor an der Columbia University

Anthony Annett, Gabelli Fellow an der Fordham University

Maria Paola Chiesi, Studiengruppe Wissenschaft und Ethik des Glücks

Richard Falk, Milbank Professor für Internationales Recht und Praxis, Emeritus, Princeton University

Ana Marta Gonzalez, Professorin für Moralphilosophie an der Universität von Navarra

Nina Chruschtschowa, Professorin für Internationale Angelegenheiten an der New School

Anatol Lieven, Senior Research Fellow am Quincy Institute for Responsible Statecraft

Mario Marazziti, ehemaliger Abgeordneter und Präsident des Menschenrechtsausschusses, Italienisches Parlament

Miguel Ángel Moratinos, Hoher Vertreter der Vereinten Nationen für die Allianz der Zivilisationen und ehemaliger Außenminister Spaniens

Romano Prodi, ehemaliger Ministerpräsident Italiens und zehnter Präsident der Europäischen Kommission

Wolfgang Richter, Senior Associate für Internationale Sicherheit an der Stiftung Wissenschaft und Politik

Richard E. Rubenstein, Universitätsprofessor für Konfliktlösung und Public Affairs an der George Mason University

Michael von der Schulenburg, ehemaliger Beigeordneter Generalsekretär der Vereinten Nationen in UN-Peace Missions

Anna Sun, außerordentliche Professorin für Religionswissenschaft an der Duke University

William F. Vendley, Vizepräsident für Weltreligionen und Spiritualität am Fetzer Institute und emeritierter Generalsekretär bei Religions for Peace

 

 

 

Die Klimafolgen bringen massive soziale Verwerfungen mit sich. Die herrschende Politik wird das Problem nicht lösen, sondern eher verschärfen. Wir brauchen dringend Konzepte der Anpassung von links.

Stellen wir uns einen Hitzesommer im Jahr 2050 in einer deutschen Großstadt vor. Tropische Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, verhindern über Wochen erholsamen Schlaf und setzen besonders alten und geschwächten Menschen zu. In den schlecht sanierten, dicht besiedelten Wohngegenden staut sich die Hitze – während es in Stadtvierteln mit Grünflächen und Gärten bis zu zehn Grad kühler sein kann.

Das ist nur ein Schlaglicht auf die Un­­gleich­heit in einer klimaveränderten Welt – und es ist nicht das bedrückendste. In vielen Weltregionen werden zu diesem Zeitpunkt die Lebensverhältnisse unerträglich sein, zahllose Existenzen durch Umweltkrisen bedroht oder zerstört.

Doch auch die Hitzesommer in Deutschland werden massive Folgen haben und Tote fordern. Dass sie kommen, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Dass sich daraus dringender Handlungsbedarf ergibt, ebenfalls. Dennoch werden die Klimafolgen in ihrer Tragweite weithin verdrängt. Die Folge: Wir sind im schlechten Sinne »unangepasst«. Es fehlt an ausreichenden Infrastrukturen und Ressourcen, um mit Hitzewellen, Dürreperioden, Starkregen und Wasserkrisen umgehen zu können. Den Preis zahlen vor allem diejenigen, die am wenigsten haben. Klimaanpassung ist damit eine soziale Frage, eine der Fragen unserer Zeit, an der sich die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung entscheidet. Dennoch wird sie auch in der Linken oft beiseitegeschoben. »Anpassung« wirkt defensiv, resignativ. Wer will schon über die Verwaltung des Mangels sprechen – damit lässt sich keine Zustimmung gewinnen. Und: Wäre es nicht besser, alle Anstrengungen auf den Klimaschutz zu richten, als sich jetzt schon mit den Folgen abzufinden?

Dabei ist gerade das Gegenteil richtig: Sich den Klimafolgen zu stellen, ist ein reality check, der die Dringlichkeit des Klimaschutzes umso deutlicher macht. Wenn wir verstehen, welcher Handlungsbedarf durch einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad entsteht, begreifen wir, warum ein weiterer Anstieg um jeden Preis verhindert werden muss. Das Verdrängte zu konfrontieren und ein glaubwürdiges Bild davon zu zeichnen, was auf uns zukommt, kann der Resignation eher entgegenwirken und zu kollektivem Handeln motivieren.

Denn selbst in den wohlhabenden Ländern des globalen Nordens sind die Herausforderungen immens. Starkregen und Hitzesommer häufen sich und verursachen in Großstädten schon jetzt jährlich mehr Todesfälle als der Straßenverkehr (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, 2016, 16). In einigen Regionen sind traditionelle Pflanzensorten nicht mehr anbaubar und zahlreiche Tierarten vom Aussterben bedroht (vgl. Reimer in diesem Heft). Unsere Infrastrukturen und Lebensgewohnheiten sind auf ein klimatisch stabiles 20. Jahrhundert ausgerichtet. Über Anpassung zu reden, ist also keine Option, es wird uns von der Realität aufgezwungen. »Change is coming whether you like it or not«, sagte Greta Thunberg und analog ließe sich formulieren, dass Anpassung stattfinden wird, ob wir wollen oder nicht.

Die gegenwärtige Anpassung ist jedoch vielerorts nicht proaktiv, sondern reaktiv, nicht demokratisch, sondern autoritär, nicht öffentlich und universal, sondern privatisiert und technokratisch. Allzu oft blendet sie die enorme soziale Ungleichheit aus, die von den Klimafolgen noch verschärft wird. Anpassungspolitik müsste diejenigen ins Zentrum stellen, die am stärksten betroffen sind, und auf gute Lebensverhältnisse für alle zielen. Dafür muss sie die engen Grenzen des »realpolitisch Möglichen« sprengen und Ressourcen mobilisieren, die der Aufgabe angemessen sind. Wenn Anpassung nicht Teil einer grundlegenden sozial-ökologischen Transformation wird, wird sie für den Großteil der Menschen scheitern und soziale Spaltungen weiter vertiefen.

Die herrschende Anpassung

Die herrschenden Politiken der Anpassung werden diesen Herausforderungen nicht gerecht. Die klimatischen Veränderungen haben nicht nur graduelle Auswirkungen, sie werden unsere Produktions- und Reproduktionsverhältnisse grundlegend beeinträchtigen. Im globalen Süden sind die sozialen Verwerfungen infolge der Klimakrise bereits deutlicher zu erkennen. Krisen und Konflikte, Armut und Ungleichheit verschärfen die Auswirkungen von Klimafolgen und beeinträchtigen die Anpassungsfähigkeit von Menschen und Gesellschaften. Die Klimagerechtigkeitsbewegung im globalen Süden fordert daher in erster Linie Reparationen für die »Klimaschulden« des globalen Nordens, dessen fossilistisches Produktionsmodell und hegemoniale Lebensweise für den Großteil der globalen Emissionen verantwortlich sind und waren. Doch stattdessen dominieren Abschottung und Externalisierung – die Regierungen der nördlichen Industrieländer weisen nicht nur Menschen zurück, die vor unhaltbaren Lebensverhältnissen fliehen, sondern auch ihre historische Verantwortung und die Forderung nach globaler Umverteilung. Die reichsten Länder geben inzwischen mindestens doppelt so viel für Grenzsicherung und Migrationsabwehr aus wie für die Klimafinanzierung (vgl. Buxton in diesem Heft). Und zur Absicherung von Schäden und Verlusten werden marktbasierte individuelle Versicherungsmodelle propagiert (vgl. Nera-Lauron in diesem Heft).

Zwar wird auch hierzulande die Dringlichkeit des Themas allmählich erkannt. Doch die politischen Antworten greifen zu kurz. Im Rahmen der Deutschen Anpassungsstrategie (DAS) erarbeiten Behörden und wissenschaftliche Netzwerke unter Leitung des Umweltministeriums seit 17 Jahren detaillierte Risikoanalysen – von der Land- und Forstwirtschaft über den Verkehr bis zur Gesundheitsversorgung. Die Aktionspläne versammeln umfangreiche Empfehlungen, die Kommunen werden angehalten, lokale Bedarfe zu ermitteln und Pläne vorzulegen, was auch vielerorts geschieht. Doch der Prozess stockt auf unterschiedlichen Ebenen und weist deutliche Leerstellen auf.

Die Maßnahmen bleiben nicht nur im Umfang weit hinter dem – formulierten und realen – Handlungsbedarf zurück, sie werden zudem in dem vermachteten und bürokratischen Handlungsrahmen von Kommunalregierungen und Verwaltungen ausgebremst. Angesichts der Größenordnung des Problems wäre eine Investitionsoffensive vonnöten, die die Infrastrukturen der Wasserwirtschaft, des Verkehrs, des Katastrophenschutzes, der Gesundheitsversorgung und Stadtentwicklung an die neuen klimatischen Risiken anpasst, und zwar so schnell wie möglich. Doch ein solcher Aufbruch ist nicht zu erkennen. Es fehlt an Personal und Finanzmitteln, die großen Aufgaben sind unter den Bedingungen prekärer Kommunalfinanzen kaum umsetzbar (vgl. Tebje in diesem Heft). Während man Aktionspläne verfasst, die allmählich in die politischen Apparate sickern sollen, werden gleichzeitig anderswo Fakten geschaffen: Es wird weiterhin versiegelt, es werden Autobahnen ausgebaut und Glastürme hochgezogen (vgl. Witt in diesem Heft).

Zudem konzentriert sich die Deutsche Anpassungsstrategie auf technische Maßnahmen wie Deichbauten, Abwassersysteme und Baunormen, die die Wirkung von Klimarisiken abmildern sollen. Andere Handlungsfelder in der Sozial-, Gesundheits-, Wohnungs- oder Stadtentwicklungspolitik werden jedoch kaum berücksichtigt, obwohl sie unmittelbar Einfluss haben auf die Auswirkungen der Klimafolgen. Die sozialen Determinanten der Vulnerabilität, der Verwundbarkeit durch die Folgen des Klimawandels, wurden in den Risikoanalysen erst spät überhaupt berücksichtigt und bleiben auch heute hinter einem ganzheitlichen Verständnis von Anpassung zurück, wie es etwa in den Berichten des Weltklimarates (IPCC) formuliert wird. Maßnahmen ›impliziter‹ Anpassung, die auf den Schutz von einkommensarmen und besonders gefährdeten Personen zielen – etwa mieter*innenfreundliche Finanzierungskonzepte für energetische Sanierung – werden ausgeklammert. Diese Engführung ist ein folgenschwerer Fehler. Denn auch innerhalb der reichen Länder treffen Umweltrisiken nicht alle gleich: Es sind die dicht bebauten, verkehrsbelasteten Innenstadtquartiere, die unsanierten Wohnungen ohne Grünflächen, wo Smog und Hitzestau am größten sind. Dass insbesondere Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen, ältere, gesundheitlich beeinträchtigte oder auch behinderte Menschen leiden, wenn soziale Dienstleistungen ausgedünnt werden, ist nicht neu und als »Krise der Reproduktion« analysiert worden. Mit der Zuspitzung der Klimafolgen wird sich auch diese Krise vertiefen. Anpassung müsste hier gezielt entgegensteuern und Fragen der Wohnungs- und Gesundheitspolitik, der sozialen Sicherungssysteme, der demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten und die Eigentumsfrage mitberücksichtigen. Davon ist die DAS weit entfernt.

Anpassung, die Ungleichheit verschärft

Wenn Anpassungspolitik lediglich auf technische Maßnahmen setzt und den breiteren Kontext ihres Wirkens ausblendet, kann sie den Verteilungswirkungen der Klimakrise nicht begegnen und droht die Ungleichheit noch zu verstärken. Selbst der Weltklimarat moniert, dass eine »Anpassungspolitik, die nicht die negativen Auswirkungen für unterschiedliche soziale Gruppen in Betracht zieht, […] zu erhöhter Verwundbarkeit führen […] und Ungleichheit verschärfen [kann]« (IPCC 2022: 29, eigene Übersetzung). Ein Blick auf die Stadt verdeutlicht das: Auch sinnvolle Maßnahmen der Klimaanpassung wie die Entsiegelung von Grünflächen und energetische Sanierungen können auf einem deregulierten Wohnungsmarkt soziale Segregation verschärfen. Die Schaffung verkehrsberuhigter »grüner Zonen« kann zur Aufwertung von Quartieren beitragen und zur weiteren Verdrängung von ärmeren Bewohner*innen führen. Isabelle Angueolvski hat die segregierende Wirkung städtischer Klimaanpassung in unterschiedlichen Ländern und Städten analysiert und beschreibt eine »Green Gentrification«, die im Extremfall »luxuriöse klimaresiliente Elitegettos für die Privilegierten« hervorbringen könne (vgl. Anguelovski/Pellow in LuXemburg-Online). Städtische Anpassungspolitik ignoriert meist, dass Resilienz auch eine Klassenfrage ist, und stützt stattdessen die Tech- und Immobilienfirmen als Treiber von Wachstum. Häufig wird top-down agiert und die Interessen von Betroffenen werden ignoriert. Im globalen Süden gibt es Infrastrukturmaßnahmen, die im Namen der Klimaanpassung zur Vertreibung von Bevölkerungsgruppen geführt und deren Verwundbarkeit noch erhöht haben (vgl. Yanez in diesem Heft). Auch im Zuge von Katastrophenhilfe und Wiederaufbau kommt es häufig zur weiteren Privatisierung von Land und zu verschärfter Segregation, wenn nicht alle ehemaligen Bewohner*innen es sich leisten können, ihre Existenzen neu aufzubauen, oder gar gezielt umgesiedelt werden, wie beispielsweise in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina 2005.

Ist eine andere Politik der Anpassung möglich?

Dass die herrschende Anpassungspolitik den unterschiedlichen Dimensionen des Pro­blems kaum gerecht wird, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie auf soziale und physische Infrastrukturen aufbaut, die durch neoliberale Kahlschlagpolitik jahrzehntelang heruntergewirtschaftet wurden. Es kann daher kaum überraschen, dass es in den staatlichen Apparaten auch an personellen Kapazitäten und den damit verbundenen Wissensbeständen fehlt, die für eine effektive Klimaanpassung erforderlich wären. Anpassungspolitik ist aber wesentlich Infrastrukturpolitik und kann folglich nur durch öffentliche Programme und Investitionen angemessen betrieben werden. Wenn diese notwendigen Maßnahmen ausbleiben oder strukturell versperrt sind – was heißt das für die Hebelpunkte, Möglichkeiten und Grenzen einer linken Anpassungspolitik?

Die absehbaren Verwerfungen infolge der Klimakrise werden zu erheblichen Legitimationsproblemen der herrschenden Politik und des kapitalistischen Staates führen. Sie werden innergesellschaftlich und international so einschneidend sein, dass die existierenden In­stitutionen kaum mehr in der Lage sein werden, die Konflikte zu prozessieren, die sich daran entzünden. Der Widerspruch zwischen der Akkumulations- und der Legitimationsfunktion des Staates, also zwischen der Aufgabe, einerseits die Verwertungsbedingungen für das Kapital zu organisieren und andererseits die Zustimmung zu einer strukturell ungleichen Gesellschaftsordnung abzusichern, wird sich verschärfen. Die Frage der Legitimation, verbunden mit der Frage nach der Effektivität von Politik, stellt sich damit immer dringlicher. Das spielt bekanntlich nicht automatisch der Linken in die Hände. Es eröffnet aber – wenn die Linke sich nicht unvorbereitet davon überraschen lässt – die Möglichkeit, in einem radikal-reformistischen Sinne zu intervenieren: mit Maßnahmen, die den Schutz und die Lebensbedingungen der Vielen konkret verbessern. Strategisch sollte daher genau überlegt werden, welche Maßnahmen im Fokus einer progressiven Anpassungspolitik in den kommenden Jahren stehen sollten und welche Bündnisse für die Durchsetzung der jeweiligen Maßnahmen erforderlich wären, um diesen eine reale Durchsetzungsperspektive zu geben.

Dafür müssen jedoch die staatlichen und gesellschaftlichen Kapazitäten der Klimaanpassung wieder oder neu aufgebaut werden. Gleichzeitig müssen die strukturellen Grenzen, an die solche Bemühungen im kapitalistischen Staat notwendigerweise stoßen, reflektiert werden. Entscheidend wäre es unter anderem, den Kampf auch um die staatlichen Institutionen der Anpassung aufzunehmen. Im Bündnis mit progressiven Akteuren in den staatlichen Apparaten (z. B. im Umweltministerium, im Umweltbundesamt, in vielen Kommunalverwaltungen) gilt es, die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Das geht allerdings nur, wenn entsprechende Forderungen auch von sozialen Bewegungen mit Nachdruck verfolgt werden und ein politischer Druck entsteht, der dafür Räume öffnet. Zwar ist die Klimabewegung im globalen Norden in den letzten Jahren deutlich erstarkt, sie konzentriert sich aber primär – und im (berechtigten) Interesse künftiger Generationen – auf die Defizite beim Klimaschutz. Anpassungsfragen lassen sich demgegenüber viel schwerer politisieren. Klimagerechtigkeit müsste im Feld der Anpassungspolitik erst als zentrale Forderung zur Geltung gebracht werden. Darin liegt eine Herausforderung, aber auch eine Möglichkeit, das Feld der Anpassungspolitik von links zu besetzen. Wie in kaum einem anderen Bereich wird hier die ökologische als soziale und internationalistische Frage sichtbar. Die gesellschaftliche Linke muss Anpassung daher als Richtungsfrage stellen: Geht es primär darum, die sozial-ökologisch destruktiven Folgen einer Produktionsweise abzufedern, ohne deren Mechanismen infrage zu stellen? Oder begreifen wir Anpassung als Einstieg in den grundlegenden Umbau dieser Gesellschaft? In diese Auseinandersetzung muss sich die Linke mit konkreten Konzepten solidarischer Anpassungspolitik einmischen.

Das ist schwierig, beinhaltet aber auch eine Chance: Durch die massiven klimatischen Umbrüche wird jedes realistisch-realpolitische ›Weiter so‹ der Realität völlig unangemessen. Nur durch tiefgreifende Veränderungen in der Produktions- und Reproduktionsweise, in den Eigentumsverhältnissen, der demokratischen Teilhabe und mit einer internationalistischen Perspektive kann tatsächlich eine Klimaanpassung im Sinne der Vielen gelingen. Dafür zu streiten, könnte in Zukunft zentral sein für die Erneuerung der gesellschaftlichen und politischen Linken.

Linke Klimafolgenanpassung will mehr!

Klimafolgenanpassung wäre aus einer linken Perspektive daher umfassend zu begreifen: Neben der ›expliziten‹ Anpassung wäre – als differentia specifica linker Politik – die ›implizite‹ Anpassung zu stärken. Explizite Maßnahmen sind primär baulicher und technischer Art: Deiche werden erhöht, Flächen entsiegelt, Kühlräume geschaffen, neue Pflanzensorten gezüchtet oder Schwammstadt-Konzepte umgesetzt. Das alles ist unabdingbar. Es kann Leben retten und dazu beitragen, dass besonders von der Klimakrise betroffene Räume bewohnbar bleiben.

Implizite Anpassung geht darüber hinaus, weil sie die sozialen Verhältnisse in den Blick nimmt, die die Auswirkungen der Klimakrise bestimmen und insgesamt für ungleiche Lebensverhältnisse verantwortlich sind. Sie verbindet den Schutz vor den nicht mehr vermeidbaren Auswirkungen der Klimakrise und den Fokus auf die am stärksten Betroffenen mit der Frage, wie wir eigentlich leben wollen und können.

All das, was für einen effektiven Schutz vor den Folgen der Klimakrise notwendig ist, sind Dinge, für die aus linker Perspektive ohnehin gestritten wird, weil sie die Gesellschaft egalitärer machen. Dazu zählen die energetische Sanierung des sozialen Wohnungsbaus, der Ausbau des Gesundheitswesens, die Förderung einer ernährungssouveränen ökologischen Landwirtschaft mit an die Klimakrise angepassten regionalen Anbaumethoden und solidarischen Stadt-Umland-Beziehungen bei der Versorgung mit Lebensmitteln ebenso wie die Förderung von öffentlichen Orten und Gemeinschaftsgärten. Global sind ein Ende der Abschottungspolitik und offene Grenzen für (Klima-)Migrant*innen und -Flüchtlinge ebenso wichtig wie die massive Unterstützung des globalen Südens für die Linderung oder Behebung von Klimaschäden sowie der Verzicht auf eine Klimapolitik, die Anpassungskapazitäten im globalen Süden untergräbt, wie etwa die Förderung der ressourcenintensiven Elektroautomobilität. Konkrete Maßnahmen zur Umweltgerechtigkeit reichen vom Rückbau großer Straßen, an denen meist die Ärmeren wohnen, zugunsten von Grünflächen und dem gleichzeitigen Ausbau des öffentlichen Transports bis zu besseren Arbeitsbedingungen in Branchen wie der Bau- und Landwirtschaft, die eine hohe Vulnerabilität gegenüber ökologischen Krisenphänomenen aufweisen. Schließlich geht es auch um eine Arbeitszeitverkürzung, die die Voraussetzungen für die immer wichtigere sorgende Arbeit an Mensch und Natur verbessert.

Das alles sind Essentials linker Politik. Sie sind nicht neu, aber sie erhalten eine besondere Dringlichkeit durch die notwendige Anpassung an die Klimafolgen und die zunehmend notwendigen Reparaturarbeiten angesichts massiver Umweltschäden. Von der Linken immer schon geforderte Veränderungen werden nun zum Schlüssel einer solidarischen Resilienz gegen die Klimakrise. Die »egalitären Aspekte des Stadtlebens [bieten] die besten soziologischen und physikalischen Voraussetzungen für Ressourcenschonung und Reduktion des CO2-Ausstoßes« (Davis 2010; vgl. IPCC-Bericht 2022), schrieb Mike Davis vor über zehn Jahren. Das lässt sich umstandslos auf die Klimaanpassung und auf ländliche Regionen übertragen. Es markiert den Horizont einer linken Anpassungspolitik, in der sich der Abbau von sozialer Herrschaft und der Abbau von Naturbeherrschung wechselseitig bedingen und gemeinsam die Grundlage für eine solidarische Bewältigung der Klimakrise schaffen – dafür, dass im Schlechten etwas Besseres entstehen kann, und zwar von unten.

Was dürfen wir hoffen?

Zoomen wir nochmal in den urbanen Hitzesommer 2050, aber diesmal unter anderen Vorzeichen. Was wäre möglich, wenn Anpassungspolitik tatsächlich die Lebensverhältnisse der Vielen ins Zentrum stellte? Natürlich würden die tropischen Nächte weiterhin viele Menschen gesundheitlich an ihre Grenzen bringen. Doch es wären zumindest Frischluftzufuhr und Kühlung für alle garantiert. Es wären Vorkehrungen getroffen worden – insbesondere für die am stärksten betroffenen Gruppen: Eine öffentliche Warn-App liefert dann täglich aktuelle Klimadaten, empfiehlt individuelle Schutzmaßnahmen und informiert über die am nächsten gelegenen Kühlräume, öffentlichen Wasserfontänen und Trinkbrunnen. Durch Entsiegelung würden gezielt Frischluftschneisen geschaffen, Brachen zur Nutzung an soziale und kulturelle Projekte übergeben. Als Neubau sticht dann insbesondere der öffentliche soziale Wohnungsbau hervor. Hier wurde Wohnraum für alle geschaffen, der modellhaft klimaangepasstes Wohnen zeigt: Der Energie- und Kühlungsbedarf ist durch intelligente Architektur und natürliche Baustoffe gering, Fassadenbegrünung wirkt als Kühlung. Auf dem Dach sind Grünflächen, die auch der Naherholung und Begegnung dienen. Viele Großsiedlungen wurden in den 2020er Jahren saniert. Mit der Vergesellschaftung der Wohnungsbestände wurden die Mieten auf niedrigem Niveau gedeckelt. Auf Quartiersebene und auf kommunaler Ebene gibt es demokratische Strukturen, die über weitere Baumaßnahmen und die gemeinschaftliche Nutzung entscheiden. Kühlräume, aber auch andere Gebäude wie etwa Kirchen, stehen allen offen, mit besonderen Kapazitäten für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, die aktiv angesprochen und bei Bedarf dorthin begleitet werden. Freibäder sind kostenfrei. Der Autoverkehr ist aus den Innenstädten verbannt, was den Hitzestau bremst und die Luftqualität verbessert. Die Straßen wurden zurückgebaut oder zu sicheren und breiten Fahrradstraßen. Parkhäuser und Parkplätze wurden in Grünanlagen und Gemeinschaftsgärten umgewandelt. Viele Menschen bevorzugen dennoch, außerhalb der großen Städte zu wohnen, da es klimatisch wesentlich angenehmer ist. Schnelle und zuverlässige öffentliche Verkehrsverbindungen machen es möglich.

Natürlich ist auch diese Welt keine heile Welt. Extremwetterereignisse häufen sich, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft sind massiv im Umbruch, immer wieder gilt es, auf neue Krisen zu reagieren und Ausfälle und Schäden zu kompensieren. Die Länder des globalen Südens, die mit schweren sozialen Verwerfungen zu kämpfen haben, erhalten umfangreiche Reparationszahlungen von den ehemaligen Profiteuren des fossilen Kapitalismus im globalen Norden. Darüber hinaus gibt es einen dauerhaften Mechanismus der kollektiven Haftung und solidarischen Umverteilung von Krisenkosten weltweit. Nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für Klimaanpassung sowie Schäden und Verluste werden umfangreiche Ressourcen zur Verfügung gestellt, über die selbstbestimmt und demokratisch verfügt wird. In den Gesellschaften des globalen Südens fließen massive öffentliche Investitionen in den Ausbau von technischen und sozialen Infrastrukturen und in den Aufbau sozialer Sicherungsnetze zum Schutz der Menschen, deren Existenzen von den Klimafolgen bedroht oder zerstört sind. Dort wo Anpassung schwer oder unmöglich ist, haben Migrationsbewegungen zugenommen. Den Menschen Bewegungsfreiheit zu ermöglichen und eine neue Existenz zu sichern, ist eine zentrale politische Aufgabe.

Spätestens hier wird die Reichweite der skizzierten Utopie deutlich. Eine Welt, in der Klimafolgen solidarisch getragen und Anpassung im Sinne aller umgesetzt wird, wäre eine ganz andere, eine radikal veränderte Welt. Der Weg dahin kann nur ein internationalistischer sein. Ohne globale Perspektive ist keine solidarische Klimaanpassung möglich. Das Schlaglicht auf die klimagerechte Stadt im Sommer 2050 zeigt, was zu gewinnen ist: eine Perspektive der Hoffnung, die die Herausforderungen annimmt und nicht verdrängt, und eine Zukunft, für die es zu kämpfen lohnt.

 Ulrich Brand

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