Was diskutieren wir heute - etwas was vor 11 Jahren bereits sehr fundiert kritisch hinterfragt wurde. Lesen Sie selbst:


Elmar Altvater/Achim Brunnengräber  (© VSA-Verlag 2008  !!):

Mit dem Markt gegen die Klimakatastrophe?

Einleitung und Überblick 
Dieser  Reader  des  Wissenschaftlichen  Beirats  von  Attac  greift  eines  der  ernstesten  und  im  Wortsinn  brennendsten  Themen  der  Gegenwart auf. Der Klimawandel bedroht uns alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Wir müssen sehr schnell, schneller als es in den Klima-vereinbarungen heute angestrebt wird, eine Reduktion der Emission von Treibhausgasen erreichen – und dies in einem Ausmaß, das nach allen Verbrauchsprognosen der fossilen Energien fast ausgeschlossen scheint.  Notwendig  wären  50%  weniger  Kohlendioxid  (CO2)-Emissionen bis 2050, wenn die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre unter der kritischen Grenze von 450 ppm (parts per million) gehalten werden soll. Doch wie könnte dies erreicht werden?
Es gibt nur vier Wege: Auf dem ersten wird eine Erhöhung der Energieeffizienz angestrebt, um pro Einheit Sozialprodukt weniger fossile Energie zu konsumieren. In  der  Energie-  und  Klimapolitik  gilt  dieser  Weg  als  eine  Art  Königsweg, da auf ihm am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Denn von einer Effizienzsteigerung beim Energieeinsatz können, so scheint es, alle nur gewinnen. Der zweite Weg führt in den globalen Süden. Dort finden sich erstens Senken, die CO2 binden könnten, z.B. aufgeforstete Wälder. Doch wird in ganz andere Projekte investiert, weil Klimaschutz dort preiswerter zu haben sei. So könnten in Asien oder Südamerika anstatt  in  Europa  durchgeführte  Projekte  die  globalen  CO2-Vermeidungskosten verringern. Dies käme letztlich dem Klimaschutz zugute, weil mit dem gleichen Aufwand mehr CO2-Reduktionen zu haben seien. Das meinen die Befürworter. Auf dem dritten Weg wird das emittierte CO2  bei  der  Verbrennung  abgeschieden,  eingefangen  und  in  Kavernen der Erdkruste gespeichert (Carbon Capturing and Storage, CCS). Nur der vierte Weg führt fort vom fossilen Energieregime in die Welt der erneuerbaren Energieträger und zu Strukturen, die den Energieverbrauch nachhaltig senken. Die noch vorhandenen fossilen Reserven bleiben in der Erde. Welcher Weg beschritten wird, ist eine Frage politischer Entscheidungen. Diese können auf Anreizsysteme, auf Gebote und Verbote, aber auch auf Aufklärung und politische Bildung abzielen. Im Kyoto-Abkommen hat man sich vor allem auf das Anreizsystem des  Marktes  festgelegt.
Der Markt – Dein Freund und Helfer? Es ist paradox, dass internationale Klimapolitik seit etwa einem Jahrzehnt  den  Eintrag  von  CO2  und  anderer  Treibhausgase  in  die  Atmosphäre vor allem mit Instrumenten des Marktes begrenzen will. Denn ein Markt für CO2 existiert gar nicht. CO2 hat keinen Gebrauchswert, mit dem Bedürfnisse befriedigt werden könnten, im Gegenteil, es ist schädlich; der Stoff lässt sich also nicht in eine Handelsware verwandeln. CO2 hat auch keinen Wert, der als Marktpreis ausgedrückt werden könnte, im Gegenteil, es handelt sich um einen Unwert, den man möglichst schleunigst loswerden möchte – wenn es denn so einfach wäre. Also bietet es sich eigentlich an, die CO2-Emissionen ordnungsrechtlich, mit gesetzlichen Geboten und Verboten, mit Grenzwerten und technischen Auflagen zu unterbinden, nicht aber Marktmechanismen eines zunächst gar nicht existenten Marktes zu bemühen. Doch sehen die marktmäßigen Instrumente des Klimaschutzes sehr elegant aus. Sie passen in das Weltbild einer globalen liberalen Ordnung, in der Markt vor Planung, Wirtschaft vor Politik und privater Sektor vor öffentlichen Gütern und Staat rangieren. Dessen Charme sind auch viele Umweltbewegte, Globalisierungskritiker, Vertreter von grünen und linken Parteien und die Mehrzahl der Umweltökonomen verfallen. Sie lassen sich von der versprochenen List einer Idee faszinieren: Preissignale und Gewinnanreize sollen so gesetzt werden, dass die Verfolgung individueller Interessen zu einem für alle, ja für die Gesamtheit der sechs Milliarden Erdenbürger optimalen Ergebnis führt, nämlich zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um den Prozentsatz, der klimapolitisch notwendig ist – ohne Gebote und Verbote, staatliche Bürokratie, in aller Marktfreiheit. Da aber ein Markt für Verschmutzungsrechte nicht existiert, muss dieser geschaffen werden. Es muss etwas zur Handelsware gemacht werden, das eigentlich nicht handelbar ist. In der neoliberalen Vorstellung ist dies ein politischer Kunstgriff, der jedoch den Dingen ihre eigentliche Natur gibt, nämlich Handelsobjekt von Privaten zu sein.
Das Machen eines Marktes durch Kontextsteuerung, wie es Fisahn in diesem Reader formuliert, ist freilich voraussetzungsvoll. Zwar wird die Atmosphäre, in der die Treibhausgase ja abgeladen werden, nicht privatisiert, und CO2 wird kein privater Vermögenswert. Wohl aber werden Rechte zur Verschmutzung der Atmosphäre politisch durch den Staat konstruiert (allowances). Diese werden dann an CO2-Emittenten gemäß einem nationalen Allokationsplan vergeben – fast kostenlos wie bislang in der EU  oder  gegen  einen  in  einem  Versteigerungsverfahren ermittelten Preis. So soll es möglicherweise ab 2012 auch in der EU geschehen, sofern nicht Lobby-Interessen dies verhindern. Also wird auch die Knappheit des Wirtschaftsgutes Verschmutzungsrecht künstlich, d.h. politisch festgelegt, durch Obergrenzen der Emissionen (cap) nämlich. Der grüne Klimakapitalismus ist also nur deshalb so charmant, weil er durch und durch politisiert ist. Die  CO2-Verursacher  verfügen  nun  über  ein  individuelles  ökonomisches Recht auf Verschmutzung der Atmosphäre. Sie erhalten eine politisch zertifizierte Ware, die sie handeln können, wie Speckseiten, Ölfässer, Weihnachtsschmuck oder Aktien und Optionsscheine. Diese Art und Weise der Problemlösung ist tief in das kapitalistische Gesellschaftssystem  und  die  Vorstellung  der  Naturbeherrschung  eingelassen, wie Biesecker/von Winterfeld aus historischer Perspektive zeigen.
Doch, so Ptak in seinem Beitrag, funktionieren Zertifikatemärkte nicht wie Wochenmärkte, auf denen man nicht nur einkauft, sondern auch gern ein Schwätzchen hält. Sie haben globale Reichweite, sie sind vermachtet, sie unterliegen der harten Standortkonkurrenz und werden in die Machenschaften auf Finanzmärkten und in deren Krisentendenzen hineingezogen  (vgl.  dazu  den  Beitrag  von  Altvater).  Die  Preisbewegungen auf einem Kunstmarkt wie dem für Emissionszertifikate sind erratisch  und  extrem  volatil,  wie  Nell/Semmler/Rezai  in  diesem  Reader belegen. Der Wert von Zertifikaten auf dem Markt hat nichts mit Kosten von Arbeit und Kapital zu tun, und da es keine zuzuordnenden Kosten gibt, erfolgt die Preisbildung auf dem Zertifikatemarkt außer-halb von Raum und Zeit. Auf einem geschichtslosen Markt schwanken die Preise der Zertifikate wie Schilfrohr im Winde. Daher überrascht die hohe Volatilität nicht. Bei den marktbasierten Lösungsansätzen steht die neoliberale Property Rights-Schule Pate (so Ptak), die über die Ausweitung von privaten  Verfügungsrechten  neue  Märkte  zu  konstituieren  trachtet,  nicht  zuletzt um den öffentlichen Sektor zurückzudrängen. Die Natur – hier die Atmosphäre – wird als Aufnahmemedium für Abfallstoffe und Emissionen begriffen. Als solches ist sie in der fossilen Ökonomie physikalisch notwendig. Also können durch einen politischen Akt handelbare Verschmutzungsrechte geschaffen und einer Gruppe von Akteuren kostenlos oder gegen Entgelt zugeteilt werden. Sie haben nun das in handelbaren Zertifikaten verbriefte Recht auf eine bestimmte Menge an Emissionen.
Dass es hierbei große Unterschiede in der Gestaltung wie der Funktions- und Wirkungsweise geben kann, führt Schreurs in ihrem Überblick über verschiedene Handelssysteme aus. Der Kunstgriff des Emissionshandels ist zwar faszinierend. Doch die Gewissheit, die notwendige Reduktion der Emission von Treibhausgasen mit marktbasierten Instrumenten erreichen zu können, ist Zweifeln gewichen. Denn die empirischen Erfahrungen mit dem Emissionshandel (vor allem mit dem europäischen cap and trade-System) sind enttäuschend. Die marktbasierten Instrumente sollten (auf dem ersten der oben bezeichneten vier Wege) über eine Effizienzsteigerung beim Energieeinsatz die Emissionen senken und auf dem zweiten Weg (mit Hilfe von Clean Development Mechanism [CDM] und Joint Implementation[JI] – vgl. dazu Witt/Moritz in diesem Reader) dafür sorgen, dass Klimaschutz erstens billiger wird und zweitens die Kohlenstoffsenken genutzt werden, durch die CO2 der Atmosphäre entzogen werden könnte (zum Kohlenstoffzyklus vgl. den Beitrag von Altvater). Die bisherigen CDM-Projekte leisten dies völlig unzureichend. Wenn dem Marktmechanismus nicht vertraut werden kann (vgl. aber Schäfer/Creutzig in diesem Reader), sind Umweltsteuern (eine carbon tax), so Nell/Semmler/Rezai, sowie ordnungsrechtliche Regelungen, so Fisahn, ein probates Mittel. Darüber hinaus muss – auf dem vierten Wege – ein sozial-ökologischer Umbau in Richtung einer solaren Gesellschaft, die sich weniger marktbasierter Instrumente bedient, als erneuerbare Energieträger nutzt, zum wichtigsten umweltpolitischen Ziel werden, so Mez/Brunnengräber  im  abschließenden  Beitrag.  Gerechtigkeitsfragen  und  die  Frage, welche Rolle dabei der Emissionshandel spielen kann, werden von Santarius diskutiert. Es ist die Botschaft dieses Readers, dass alle vier Wege gangbar sind. Zielführend, nämlich fort vom fossilen Ener-giesystem zu gelangen und Klimaschutz Wirklichkeit werden zu lassen, jedoch ist vor allem der vierte Weg.

Zur Erinnerung: Die flexiblen Klimaschutzinstrumente von Kyoto
Mit dem 1997 unterzeichneten Kyoto-Protokoll sind 38 Industrie- und Transformationsländer (die so genannten Anhang-B-Staaten) Verpflichtungen zur Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen eingegangen. Das im Vertrag  festgelegte  Gesamtreduktionsziel  lautet:  minus  5,2%  im  Durch-schnitt der Jahre 2008 bis 2012 gegenüber 1990. Der Hauptteil der Einsparungen soll jeweils im eigenen Land erfolgen. Um die Kosten von Klima-schutzinvestitionen  zu  senken,  können  Staaten  und  Unternehmen  aber  auch drei flexible Instrumente nutzen, die es ihnen erlauben, ihre Verpflichtungen teilweise im Ausland zu erbringen: den Emissionshandel (Emissions Trading, ET), die Gemeinsame Umsetzung (Joint Implementation, JI) und den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Deve-lopment Mechanism, CDM). Der Kyoto-Emissionshandel ist nur zwischen Anhang-B-Ländern zulässig. Ihnen  ist  es  seit  2008  gestattet,  Kyoto-Emissionsrechte  (Assigned  Amount  Units, AAU) zu kaufen oder zu verkaufen. Dabei werden Teile des ursprünglich durch das Kyoto-Protokoll zugewiesenen Emissionsbudgets von einem Land auf das andere übertragen.
Bereits am 1. Januar 2005 startete in der Europäischen  Union  ein  Emissionshandelssystem,  bei  dem  nicht  Staaten,  sondern Betreiber energieintensiver Anlagen eine begrenzte Menge handelbarer Zertifikate für den Ausstoß von Kohlendioxid erhalten (European Allowance Units, EAU). Dieser wird gelegentlich mit dem Kyoto-Emissionshandel  verwechselt.  Letzterer  ermöglicht  Anhang-B-Staaten,  die  mit  ihrem Treibhausgasausstoß über ihrer Kyoto-Verpflichtung liegen, EAUs von anderen Anhang-B-Staaten zu kaufen, deren Treibhausgasemissionen unter den Kyoto-Verpflichtungen liegen. Der anlagenbezogene EU-Emissionshandel ist hingegen auf einzelne Sektoren der Volkswirtschaft begrenzt – derzeit  auf  die  Energiewirtschaft  und  die  Industrie.  Verkehr,  Handel  und  Dienstleistungen sowie private Verbraucher sind bislang in das Handelssystem nicht einbezogen. Bei JI und CDM investieren Staaten, Unternehmen oder so genannte Carbonfonds in Klimaschutzprojekte im Ausland, zum Beispiel in Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien, in höhere Energieeffizienz oder in die Neutralisierung von Methangasen aus der Abfallwirtschaft. In der Folge erhalten sie Emissionsgutschriften in Höhe der eingesparten Treibhausgase. Diese können die Investoren und Projektpartner im Gastland zur Abrechnung  eigener  Reduktionsverpflichtungen  nutzen  bzw.  am  Emissionshandelsmarkt verkaufen. 
JI-Vorhaben sind analog zum Kyoto-Emissionshandel nur zwischen Staaten mit quantitativen Emissionszielen, also innerhalb der Anhang-B-Ländergruppe,  gestattet.  Emissionsgutschriften  (Emission  Reduction  Units,  ERU)  daraus sind seit 2008 möglich. Im Unterschied zum JI-Mechanismus fungieren bei CDM-Projekten nicht Industrieländer, sondern Entwicklungsländer als Gastländer. Die dort erzielten Emissionsreduktionen (Certified Emission Reductions, CER) können rückwirkend bis zum Jahr 2000 anerkannt werden, sofern sie gegenüber der UN nachweisen, dass die Reduktionen zusätzlich sind und ohne CDM-Mechanismus nicht stattgefunden hätten.

Elmar Altvater / Achim Brunnengräber (Hrsg.)
Ablasshandel gegen Klimawandel?
Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen
Reader des Wissenschaftlichen Beirats von Attac
240 Seiten | 2008 | ISBN 978-3-89965-291-8 1

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