»Fridays For Future«: Die Welt kann nur jenseits des Kapitals vor dem Untergang gerettet werden, meint Tomasz Konicz
Es sind vernünftige, jedoch gemäßigte Forderungen, die von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der neuen Klimabewegung »Fridays For Future« erhoben werden. Ende Februar forderte die Galionsfigur der Bewegung, die Schwedin Greta Thunberg, in Brüssel eine Reduzierung der europäischen CO2-Emission um 80 Prozent bis 2030, was angesichts des viel rascher als prognostiziert voranschreiten Klimawandels durchaus als eine absolute Mindestvorgabe betrachtet werden kann. Die Welt könne nur durch das »Ändern der Regeln« gerettet werden, so die jugendliche Klimaaktivistin bei ihren viel beachteten öffentlichen Auftritten. »Alles« müsse sich ändern.
Bei solchen Aussagen schwingt die nur zu berechtigte Ahnung dessen mit, dass die Welt gerade nicht innerhalb des bestehenden spätkapitalistischen Systems »gerettet« werden kann. Dies bescheidene Mindestziel der Klimabewegung, die Sicherung der ökologischen Grundlagen der menschlichen Existenz auf dem Raumschiff Erde, ist nur jenseits des Kapitals erreichbar. Es sind in letzter Instanz keine korrupten Politiker oder gierigen Manager, die dem Überleben der Gattung Mensch im Weg stehen, sondern das Wesen und die inneren Widersprüche des Kapitalverhältnisses selber.
Kapital als Geld, dass durch Einsatz von Lohnarbeit, Maschinerie und Rohstoffen zu mehr Geld akkumuliert (G-W-G') wird, agiert global als eine unkontrollierbare, fetischistische Dynamik, als ein »automatisches Subjekt« (Marx). Es ist ein blinder Wachstumszwang, dem die konkrete Welt und die menschliche Gesellschaft als bloßes Material dienen, um immer größere Mengen abstrakten Reichtums anzuhäufen. Das Kapital ist ein irrationaler, zerstörerischer Selbstzweck, der sich gegenüber den Marktsubjekten, die ihn alltäglich erarbeiten, gesamtgesellschaftlich verselbstständigt.
Die Rationalität des einzelnen Unternehmers schlägt somit global in irrationale Weltverbrennung um. Nach jedem erfolgreichen Verwertungskreislauf steigt der Druck, dass vergrößerte Kapital neu zu »investieren«, indem mehr produziert wird, indem mehr Maschinen, Rohstoffe und Menschen verwertet werden. Selbst bei gleichbleibender Produktivität müssen immer größere Mengen von Ressourcen verfeuert werden, um die Wachstumsbewegung des Kapitals aufrechtzuerhalten. Gerade die unter enormen Ressourcen- und Energieaufwand hergestellten Waren, die das System ausstößt (PKWs, Elektroschrott), sind somit nicht primär auf ein möglichst langfristige Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet, sondern auf schnellen Konsum, auf Verschleiß, um möglichst schnell wieder eine Marktnachfrage herzustellen. Die zunehmenden Tendenzen für ein ständig neues Warendesign sind Folge dieses irrationalen Wachstumszwangs.
Beschleunigt wird dieser Wahnsinn durch Produktivitätssteigerungen innerhalb der Warenproduktion. Die zunehmende wirtschaftliche Effizienz, die eigentlich Grundvorastsetzung einer nachhaltigen gesellschaftlichen Reproduktion wäre, fungiert im Spätkapitalismus als »Verbrennungsbeschleuniger«. Die Lohnarbeit ist die einzige Ware, die mehr Wert schafft, als sie wert ist - sie ist die Quelle des Mehrwerts. Folglich sinkt bei steigender Produktivität (etwa durch Automatisierung) die in einer konkreten Ware vergegenständliche Menge abstrakter Arbeit, ihr Wert. Die Produktion muss folglich entsprechend erhöht werden, um dieselbe Wertmasse zu verwerten. Bei einer Steigerung der Produktivität der Autoproduktion zum Beispiel um zehn Prozent muss der Absatz entsprechend angekurbelt werden - ansonsten drohen rationalisierungsbedingte Entlassungen. Deswegen gilt: Je weiter die Produktivität der kapitalistischen Weltmaschine angekurbelt wird, desto größer ihr Ressourcenhunger bei der irrationalen Akkumulation abstrakten Reichtums.
Die lohnabhängigen Eltern der Kinder, die nun zu Zehntausenden für ihr buchstäbliches Überleben streiken, befinden sich in einer kapitalistischen Ausweglosigkeit: Da unterm Kapital nur das eine Existenzberechtigung hat, was direkt oder indirekt zu dessen Wachstumswahn beiträgt, können Lohnabhängige sich dieser amoklaufenden Weltverbrennungsdynamik, deren ohnmächtiger Akteur sie sind, nur um den Preis der eigenen Verelendung verweigern. Mittellosigkeit jetzt oder Klimakollaps später? Erst bei der Überwindung des kapitalistischen Wachstumswahns ließe sich diese Ausweglosigkeit auflösen.
Tomasz Konicz ist Publizist. Er schreibt vorwiegend zu Wirtschaftspolitik und Krisenanfälligkeit des Kapitalismus.
Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1114241.kapitalismus-sozialismus-oder-klimakollaps.html