Ein Interview mit dem Soziologen Jens Beckert
Soziologe Jens Beckert blickt auf Schwächen und Lösungen der Klimapolitik. Er zeigt, warum Optimismus und Angst nichts gegen den Klimawandel bewirken.
Professor Beckert, wenn Sie sich die Klimapolitik der Länder ansehen, welchen Eindruck macht das auf Sie?
Die Klimapolitik ist gewissermaßen auf den Rücksitz gerutscht. Vor ein paar Jahren, etwa im Jahr 2021 mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und der anschließenden Anpassung des Klimagesetzes, konnte man noch etwas Hoffnung haben, dass die Dringlichkeit verstanden ist und das Problem ernst genommen wird. Aber die Entwicklung der letzten Jahre verstärkt meinen Eindruck, dass jede Ernsthaftigkeit in dieser Frage verloren gegangen ist. Man versucht, es politisch möglichst weit aufzuschieben.
Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „Skandal“.
Angesichts der Tatsache, dass es um die Lebensgrundlagen der Menschen geht, ist diese Klimapolitik ein Skandal. Wir haben keine zweite Welt zur Verfügung. Politik ist verpflichtet, Schaden von dem Volk abzuwenden und für das Wohlergehen der Bevölkerung Sorge zu tragen. Die Unangemessenheit von Klimapolitik kann man nur als Skandal bezeichnen. Das gilt übrigens weltweit.
Keine Panik vor der Klima-Apokalypse: Folgen des Klimawandels sachlich betrachten
Ist denn die Klima-Apokalypse noch abwendbar?
Ich spreche ungern von einer Apokalypse. In dem Buch geht es mir nicht darum, Panik zu schüren, sondern die Situation zu verstehen und zu schauen, was sich noch machen lässt. Wir müssen davon ausgehen, dass es zu einer Erwärmung des Klimas um 2,5, möglicherweise sogar drei Grad kommen wird. Dies lässt sich den Prognosen der Klimawissenschaftler entnehmen.
Damit stehen uns dramatische Veränderungen bevor, darunter eine Zunahme von Extremwetter und ein Anstieg des Meeresspiegels. Es gibt eine enorme Dringlichkeit, jetzt etwas zu tun. Mir fehlt der Optimismus zu denken, wir könnten noch irgendwie in die Nähe der Pariser Klimaziele kommen. Unsere Politik müssen wir darauf ausrichten, dass wir sie wohl weit übertreffen werden.
Was bedeutet eine starke globale Erwärmung für die Gesellschaften?
Von Klimaerwärmung betroffene Gesellschaften werden immer stärker Verluste erleiden. Diese werden jedoch nicht einheitlich verteilt sein; es wird sowohl innerhalb von Gesellschaften zu Ungleichheiten kommen als auch global. Die meisten Klimaschäden entstehen derzeit ja im globalen Süden. Je höher die Verluste durch Klimaschäden, desto stärker werden durch den Klimawandel soziale Konflikte ausgelöst.
Es werden mehr Ressourcen aufgewendet werden müssen, sowohl für Klimaanpassung als auch für die Behebung von Schäden. Das sind alles Gelder, die für andere wichtige Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Wir sehen die sozialen Konflikte in ihren Anfängen bereits.
Diskrepanz zwischen globalem Norden und Süden: Prioritäten bei Umwelt und Klima
Was haben Sie da vor Augen?
Wenn man in Europa schaut, so sind die Bauernproteste etwa in den Niederlanden durch die Frage der Minimierung der Treibhausgase in der Tierhaltung ausgelöst worden. Von den Menschen wird eine erhebliche Umstellung ihrer Lebensweise verlangt.
Dagegen richten sich die Proteste. Und wenn wir in den globalen Süden schauen, erkennen wir bereits deutlich massivere Auseinandersetzungen, etwa um den Zugang zu Wasser oder Weideland. Die Länder haben kaum Möglichkeiten zur Abhilfe, um die existenziellen Bedrohungen für ihre Bevölkerungen abzufedern. Das ist in reichen Ländern zurzeit sicherlich noch möglich.
Politik nicht alleinig Schuld an Klimapolitik – Wirtschaft und Bürger zum Klima
Sind die Demokratien nicht in der Lage, angemessen auf die Herausforderung zu reagieren?
An der Demokratie allein liegt es sicherlich nicht. In dem Buch argumentiere ich ja, dass alle drei Bereiche – Wirtschaft, Politik und Bürger – es nicht hinbekommen angemessen zu handeln. Die Politik hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie wirtschaftliche Aktivitäten ja nicht einfach abwürgen kann. Würden fossile Geschäftsmodelle relativ schnell dichtgemacht, würden die Treibhausgasemissionen sinken.
Das aber geht aus der Logik des politischen Handelns heraus nicht, weil die Politik für Steuereinnahmen und Wählerzustimmung auf eine brummende Wirtschaft angewiesen ist. Außerdem macht die Politik regelmäßig die Erfahrung, dass ernsthafte Klimapolitik den Widerstand von Interessengruppen hervorruft. Und dies, obwohl es in Meinungsumfragen hohe Unterstützung für Klimapolitik gibt.
Dennoch ist es zu kurz gegriffen zu denken, dass das Problem einfach in den Strukturen der Demokratie liegt. Leider gibt es auch in der Wissenschaft die Vorstellung, man benötige zunächst einen Klimadiktator, damit das Problem gelöst wird.
Was denken Sie darüber?
Ich halte das für vollkommen abwegig. Autoritäre Systeme haben eine extrem schlechte Klimabilanz. Ganz zu schweigen davon, wie eine solche Klimadiktatur überhaupt mehrheitsfähig werden sollte. Man sieht ja schon bei den zaghaften Versuchen der Grünen, mehr Tempo in die Klimapolitik zu bringen, wie schnell sich Widerstand regt. Es geht darum, einen Konsens in der Gesellschaft hinsichtlich der Dringlichkeit dieses Problems zu schaffen. Man wird Klimapolitik nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen können.
Gefahr beim Klimawandel zu entfernt: Pandemie und Klimapolitik nicht vergleichbar
Dennoch bleibt die Politik der entscheidende Akteur. Sie hat bereits unterstrichen, dass sie durchaus exekutive Gewalt nutzen kann, in der Pandemie. Warum funktioniert das jetzt nicht?
Der Unterschied zwischen Pandemie und Klimapolitik ist die Frage der zeitlichen Unmittelbarkeit. Politik kann solche freiheitseinschränkenden Entscheidungen leichter treffen, wenn die Gefahr unmittelbar vor Augen steht. Ein anderes Beispiel neben der Pandemie wären auch Regierungen in Kriegsfällen, wo das auch sehr schnell funktioniert.
Bei der Klimakrise handelt es sich um ein Problem, dessen Folgen zwar in Teilen bereits deutlich werden, wo aber die eigentliche Bedrohung erst in der weiteren Zukunft gesehen wird. Hier ist es sehr viel schwerer, die notwendigen Maßnahmen zu treffen und Überzeugungsarbeit zu leisten.
Welche Fehler wurden da zum Beispiel bei der Energiewende gemacht, etwa beim Heizungsgesetz?
Ich denke, beim Heizungsgesetz gab es große Kommunikationsfehler der Politik. Aber es geht auch um die soziale Betroffenheit von Klimaschutzmaßnahmen. Klimapolitik führt zu finanziellen Belastungen. Diese machen sich bei Einkommensschwächeren stärker bemerkbar als bei Wohlhabenderen. Sie besitzen für sie also eine höhere Bedeutung. Daher gibt es auch stärkere Ablehnung. Ohne sozialen Ausgleich, wie etwa durch ein Klimageld, wird politische Zustimmung nicht zu haben sein.
Zur Person
Jens Beckert, geboren 1967, ist seit 2005 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Professor für Soziologie in Köln.
Sein jüngstes Buch „Verkaufte Zukunft“ (Suhrkamp 2024) ist für den deutschen Sachbuchpreis nominiert, der am 11. Juni vergeben wird. Im Jahr 2018 erschien sein Buch „Imaginierte Zukunft“ (Suhrkamp), in dem er zeigte, dass Vorhersagen und Visionen zwar willkommene Pfeiler zur wirtschaftlichen Orientierung sind, aber zugleich auch in die Irre führen können.
Wie steht es da um die Eliten, die ja vorangehen müssten, aber aus dem Blick geraten. Dabei ist ihr Anteil nicht zu vernachlässigen.
Es gibt eindeutige Befunde, die besagen, dass der CO2-Ausstoß mit dem Einkommen steigt. Je höher der Lebensstandard, desto höher der CO2-Ausstoß. Das nimmt bei den Superreichen obszöne Formen an, wo pro Kopf auch schon mal 10 000 Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Das sind Menschen, die etwa mit dem Privatflugzeug fliegen und große Jachten haben.
Das macht nicht den Hauptteil der Treibhausgase aus, aber es steuert einen nicht unbedeutenden Teil dazu bei. Will man dem Klimawandel begegnen, müsste sich aber auch der Lebensstil der Mittelschichten im globalen Norden grundlegend verändern. Dies wird kaum gelingen. Weder wird man die mächtigsten Personen der Gesellschaft zum Verzicht motivieren, noch die Mittelschichten.
Denn in unserer Gesellschaft bringt Konsum sozialen Status zum Ausdruck. Das gilt nicht nur für die Superreichen, sondern letztendlich für alle. Die soziale Position bestimmt sich über eine großzügige Wohnung, das Auto oder ferne Urlaubsziele. Oder eben über eine Superjacht. Diese Strukturen werden sich allenfalls sehr langfristig verändern.
Und Konsumorientierung gilt zunehmend natürlich auch für die Menschen im globalen Süden, die derzeit noch einen vergleichsweise geringen Energieverbrauch haben. Länder wie Indien stehen in den Startlöchern ihrer ökonomischen Entwicklung, und auch dort gilt: je höher das Einkommen, desto höher die CO2-Emissionen.
Ende vom Kapitalismus? Protest-Bewegungen zu schwach
Wäre es da besser, den Kapitalismus ganz zu verabschieden?
Die kapitalistische Wirtschaftsform ist zutiefst problematisch in Bezug auf die Ausbeutung der Natur. Dennoch halte ich die Rede vom Ende des Kapitalismus für unsinnig. Es müsste ja erst mal gesagt werden, woher das überhaupt kommen soll. Es gibt keine einflussreichen Bewegungen in unserer Gesellschaft, die ein völlig anderes Gesellschaftssystem fordern.
Das kann man ja auch gut verstehen. Wenn wir über ein Land wie Deutschland sprechen, ist der Kapitalismus enorm erfolgreich, weil er einen immensen Wohlstand geschaffen hat. Solche Ideen mögen sympathisch klingen, aber wir müssen von der politischen Realität ausgehen. Es hilft nicht, irgendwelche Wunschschlösser aufzubauen. Die Frage muss sein, wo politisch umsetzbare Ansatzpunkte liegen, die uns helfen.
Ziel des Wirtschaftswachstums im Zwiespalt: Verzicht vs. grüner Turbokapitalismus
Hilft letztlich nur der Verzicht?
Wenn wir das Problem schnell angehen wollen, geht es derzeit nur über Verzicht. Denn die Transformation weg von der fossilen Energie hin zu erneuerbaren Energien wird nicht schnell genug sein. Wenn wir den Ressourcenverbrauch immer weiter steigern, was wir durch weiteres Wachstum ja tun, werden sich auch die bestehenden ökologischen Krisen verstärken. Es geht nicht ohne ein Weniger. Gleichzeitig ist klar, dass dies politisch eine vermutlich nicht zu meisternde Herausforderung ist.
Kanzler Scholz hat zum Regierungsantritt einen grünen Turbokapitalismus angekündigt.
Das zeigt die politische Hilflosigkeit. Es hat die Illusion genährt, das Problem ließe sich einfach durch technologischen Fortschritt und Investitionen lösen, ohne dass es irgendjemandem wehtun wird. Dies funktioniert nicht, weil die grüne Transformation viel zu langsam vorankommt, denn sie ist enorm teuer und auch ein solch riesiges Projekt, dass sie sich über viele Jahrzehnte erstrecken wird.
Auf grünes Wachstum zu setzen, ist insofern auch eine politische Beruhigungsstrategie. Natürlich muss die Energiewende vorangebracht werden. Doch das wird uns nicht zu den Pariser Klimazielen bringen. Auch in Deutschland haben fossile Energien noch einen Anteil von fast 80 Prozent am Energieverbrauch.
Klimapolitik international denken: Lokale Aktion statt Kolonialismus und Ausbeutung
Wenn wir bestimmte Technologien stärker fördern wie den batteriebetriebenen Pkw etwa, beuten wir dann nicht den Süden aus?
Es ist eine Fortsetzung von Geschäftsmodellen, die aus dem Kolonialismus seit Jahrhunderten bekannt sind. Der globale Süden wird zum Rohstofflieferanten für den globalen Norden. Der globale Süden wird an der Wertschöpfung sehr wenig beteiligt, hat aber zusätzliche ökologische und soziale Negativfolgen zu tragen, etwa bei indigenen Gemeinschaften oder bei der Umweltverschmutzung. Der Lithiumabbau in Südamerika ist ein Beispiel dafür. Für die Lösung unserer Umweltprobleme verstärken wir die Umweltkrisen in anderen Weltregionen.
Was müsste Ihrer Meinung nach jetzt passieren?
Wir müssen uns der Situation stellen, dass es zu einer deutlichen Temperaturerhöhung kommen wird. Damit rücken Fragen der Klimaanpassung in den Vordergrund. Und dann müssen wir uns fragen, wie Politik auf die Klimaerwärmung besser reagieren könnte. Dafür bedarf sie der Unterstützung der Wähler. Die Bevölkerung wird Klimapolitik eher unterstützen, wenn sie deren konkreten Nutzen erfahren kann.
Dafür kommt es stark auf die Ebene von lokalem Handeln an, wo sich Menschen begegnen und austauschen und an der Festlegung von Wegen und Zielen beteiligt sind. Möglicherweise wachsen dabei Einstellungen, die politisch robuster sind als eine allgemeine Zustimmung zum Umweltschutz, die wir ja auch heute in Meinungsumfragen sehen.
Staat nicht mehr als Wirtschaftsschützer? Die Rolle des Staates im Klimawandel
Das betrifft das Bürgertum. Und der Staat?
Ein wichtiger Schluss ist, dass wir über eine andere Rolle des Staates nachdenken müssen, über ein anderes Modell als die starke Marktgläubigkeit, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten. Ich meine eine sehr viel aktivere Rolle des Staates, der energischer in Gemeinschaftsgüter der kollektiven Daseinsvorsorge investiert.
Wir brauchen ein funktionierendes Gesundheitssystem, einen funktionierenden Katastrophenschutz in der Klimakrise, aber wir benötigen auch einen funktionierenden Nahverkehr auf dem Land und sehr viel Geld für die Energiewende. Der Staat wird sich hier viel stärker engagieren müssen, als wir es uns im Moment vorstellen können.
Haben Sie noch Hoffnung?
Die Hoffnung ist, dass wir politische Instrumente finden, die einen besseren Umgang mit dem Klimaproblem ermöglichen. Wenn die Klimaerwärmung dadurch etwas geringer ausfällt, ist dies bereits ein Erfolg.