Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA sind in aller Munde. Weniger bekannt ist das sogenannte Dienstleistungsabkommen „Trade in Services Agreement“ (TiSA). Das ist erstaunlich, handelt es sich bei TiSA doch um das derzeit größte Freihandelsabkommen, das seit 2013 unter strengster Geheimhaltung von 50 Staaten verhandelt wird. Der Buchautor und VWL-Lehrbeauftrage Ulrich Mössner hat sich intensiv mit TiSA beschäftigt. In einem Interview mit den NachDenkSeiten blickt Mössner hinter die Kulissen von TiSA. Das Interview führt Rolf-Henning Hintze.

Im Gegensatz zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA ist das Dienstleistungsabkommen TiSA in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt. Es ist zu vermuten, dass TiSA noch in diesem Jahr abgeschlossen werden könnte. Woran liegt es, dass der Informationsrückstand so groß ist?

Die Hauptursache dafür ist, dass die TiSA-Verhandler, das sind ja immerhin 23 Länder oder Ländergruppen, strikteste Geheimhaltung vereinbart haben. Und daran hält sich ganz offensichtlich jeder, und dadurch kommt weder was im Fernsehen noch in der Presse, die breiteste Informationsquelle, die wir haben, aber auch erst seit einigen Monaten, sind Leaks, die man im Internet findet, in dem Fall von Wikileaks. Aber nachdem das alles in Englisch ist, noch dazu in einem Wirtschaftsenglisch, helfen auch die Leaks in der breiten Öffentlichkeit nicht, sich damit zu beschäftigen. Ganz im Gegensatz zu der Gefährlichkeit von TiSA.

Würde mit TiSA eine verbesserte Bankenregulierung erschwert oder sogar unmöglich?

Der Bankenbereich ist bei TiSA ein ganz wunder Punkt. Dort merkt man ziemlich eindeutig, dass die Bankenlobby es geschafft hat, Formulierungen reinzubringen, die eine künftige Regulierung des Bankenbereichs extrem erschwert, ja sogar Re-Regulierungen nach der Finanzkrise wieder zurücknehmen werden. Im Kleingedruckten findet man dann Beispiele, die sogenannte Volcker-Regel in den USA, mit der man das Investment-Bankengeschäft vom normalen Bankengeschäft trennen will, getrennt hat. Dies soll jetzt wieder aufgehoben werden, was ganz dramatische Folgen haben könnte, und die Einschränkung des Handels mit Derivaten desgleichen. Da sieht man, in welche Richtung das Ganze geht.

Ein besonders problematischer Punkt in TiSA ist die öffentliche Daseinsvorsorge. Kritiker sagen, diese sei gefährdet. Öffentliche Daseinsvorsorge klingt in den Ohren vieler sehr abstrakt, aber mit TiSA könnte sich unser Leben enorm verändern. Inwiefern?

Zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören beispielsweise Wasserversorgung, Energieversorgung, Stadtwerke, viele kulturelle Einrichtungen, die Schulen und die Hochschulen, und bei diesen Beispielen sehen Sie schon, wie intensiv die öffentliche Daseinsvorsorge unser gesamtes Leben mit beeinflusst. Und vor diesem Hintergrund ist es bei uns sowohl im Grundgesetz als auch im Kommunalrecht festgelegt, dass diese Dinge unter kommunaler oder Länderhoheit stehen sollten und nicht profitorientiert, sondern gemeinwohlorientiert gemacht werden. Ein Beispiel: Es gibt sehr gute private Krankenhäuser, die richten aber ihr Geschäftsfeld immer so aus, dass der Gewinn am höchsten ist, und nicht am Gemeinwohl. Oder der öffentliche Nahverkehr, auch dort ist das Problem, was wir heute ja auch teilweise bei der Deutschen Bahn schon sehen: Wenn ich nur am Gewinn mein Schienennetz und Zugrichtungen usw. ausrichte, dann bleibt eben die breite Fläche unbedient, weil ich dort nicht so viel Geld verdienen kann.

Ein weiterer wichtiger Bereich sind Arbeitnehmerrechte, die auch wiederum gefährdet wären, wenn TiSA durchkäme. In welcher Hinsicht wären Arbeitnehmerrechte bedroht?

Da sind drei Ebenen zu sehen. Die erste: Durch TiSA bekämen transnationale Dienstleistungskonzerne das Recht, weitgehend ungehindert Personal über die Grenzen zu transferieren. Das heißt, wir schaffen hier Wanderarbeiter mit sehr ungeklärten Arbeitsverhältnissen. Die zweite Ebene ist, dass durch diese Wanderarbeiter, die wohlgemerkt nach Konditionen des jeweiligen Heimatlandes angestellt und bezahlt werden, örtliche Arbeitsrechte, Mitbestimmungsrechte, Arbeitszeiten usw. unterlaufen werden können. Und als Drittes werden in Zukunft noch neue E-Commerce-Konstellationen dazukommen, dass hier grenzüberschreitende Dienstleistungen produziert werden, Outsourcing-Modelle, die bestehende Arbeitsstrukturen völlig durcheinanderwerfen werden und in Zukunft Arbeitsvertragsstrukturen und Mitbestimmungsrechte indirekt beeinflussen werden, und zwar negativ.

Bleiben wir mal bei dem Beispiel private Krankenhäuser. Chile ist eines der 50 Länder, die bei TiSA dabei sind. Könnte ein chilenisches Unternehmen in einer deutschen Großstadt also ein Krankenhaus betreiben und könnte es dann Personal aus Chile, bezahlt nach chilenischen Tarifen, hier einsetzen?

Ja. Das ist zwar jetzt nicht für das gesamte Personal vorgesehen, sondern, wie es heißt, für Führungspersonal und für Spezialisten. Aber die Definition von Spezialisten ist natürlich ungeheuer schwierig, gerade in Krankenhäusern, das könnte auch Pflegepersonal sein. Das wird zwar wohl nicht in erster Linie in Frage kommen, aber es könnte sein. Das ist ein gutes Beispiel, wo unsere örtlichen Arbeitskonditionen in Mitleidenschaft gezogen würden.

Spezialisten sind ja ein weites Feld. Krankenhäuser z.B. hängen heute von Computern ab, da wäre es ja ohne weiteres vorstellbar, dass die Computerspezialisten in Chile ein sehr viel geringeres Gehalt haben und trotzdem hierher kommen und einheimische Arbeitnehmer ersetzen.

Ja, das ist ein gutes Beispiel, genau diese Befürchtung habe ich auch.

Ein ganz wesentlicher Bereich, den TiSA eröffnen würde, sind neue Klagemöglichkeiten gegen Staaten, die gesetzliche Bestimmungen verschärfen. Was wäre im Einzelnen zu befürchten?

Zunächst muss man mal festhalten, dass in TiSA im Vergleich zu TTIP oder CETA keine Klagemöglichkeiten für Unternehmen gegen Staaten vorgesehen sind, sondern das Schiedsverfahren der Welthandelsorganisation WTO. Das gilt nur zwischen Ländern der WTO. Unternehmen können dann also nicht mehr direkt klagen, sondern sie müssen sich an ihre Regierungen wenden und sagen: Ich bin unfair behandelt worden. Das ist, sag ich mal, der positive Aspekt. Der negative Aspekt ist aber, dass durch die Formulierung von TiSA neue, sehr breite Anspruchsgrundlagen für Klagen gelegt werden, sodass damit zu rechnen ist, dass dadurch die Schiedsgerichtsbarkeit der WTO sehr viel intensiver in Anspruch genommen wird als bisher.

Das wäre dann ein gewisser Umweg, dass man zunächst die eigene Regierung konsultieren muss, und die stellt dann fest, dass da gegen bestimmte TiSA-Regeln verstoßen wurde.

Genau so ist es, nur mit einem positiven Nebeneffekt: Das Problem bei den privaten Schiedsstellen waren ja im wesentlichen die Schadenersatzklagen, und die WTO sieht keine Schadenersatzklagen vor, sondern will feststellen, ob ein bestimmtes Land, das TiSA angehört, sich wettbewerbskonform verhält oder eben nicht. Und wenn sich ein Land nicht wettbewerbskonform verhält, dann hat das klagende Land die Möglichkeit, Gegenmaßnahmen vorzunehmen, also Strafzölle und ähnliches.

Grundsätzlich verspricht die EU-Kommission durch TiSA mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze. Wie glaubhaft ist das?

Dieses Versprechen kannten wir ja schon von TTIP und von CETA, und an beiden Beispielen haben Gutachten diese vollmundigen Versprechen widerlegt. Seit Januar dieses Jahres gibt es nun ein Gutachten der Beratungsfirma Ecoris – und zwar im Auftrag der EU-Kommission – , und dieses Gutachten hat zum Ergebnis, dass das Wachstumspotenzial für die EU – jetzt halten Sie sich fest – ganze 0,1 Prozent sein würden, und zwar aufsummiert bis zum Jahr 2025! Das ist wirtschaftlich so gut wie gar nichts. Und Auswirkungen auf Arbeitsplätze werden dort überhaupt nicht festgestellt. Wenn man dann noch die Hoffnung hätte, dass Verbraucherpreise fallen könnten, kommt das Gutachten zum Ergebnis, bei den Verbraucherpreisen wird sich sogar noch weniger bewegen: 0,0 Prozent ! Diese Versprechungen sind nichts als heiße Luft.

TiSA enthält auch eine Bestimmung, die den Regierungen ausdrücklich ein „Right to regulate“, also ein Recht auf eigene gesetzliche Maßnahmen, zubilligt. Das hört sich erst einmal nicht schlecht an. Was verbirgt sich dahinter?

Ganz wichtig für TiSA ist zum Beispiel der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, also neue Regulierungen dürfen nicht diskriminierend sein. Durch TiSA werden ausländische Unternehmen immer behandelt wie inländische Unternehmen. Aber das zweite, was in TiSA als Beschränkung der Regulierungsmöglichkeit drin steht, ist: Eine Regulierung darf nicht exzessiv sein – und was exzessiv ist, entscheidet nun nicht irgendein Richter, sondern entscheidet das Schiedsgericht nach Kriterien von TiSA! Und TiSA legt hier den internationalen Standard an: also Dinge, die jetzt international als Standard angesehen werden können, z.B. Ausstieg aus der Kernkraft, der bei uns ja demokratisch entschieden worden ist, ist international kein Standard. Oder die Verwendung von Gentechnik ist durchaus internationaler Standard, wird aber in Europa und in Deutschland nicht gewünscht. Solche Regelungen könnten dann mit TiSA eben nicht mehr von den einzelnen Staaten beschlossen werden.

Und wenn Veränderungen an TiSA-Regeln vorgenommen werden sollen, kann das nur einstimmig geschehen, es müssen also alle 50 Teilnehmerstaaten zustimmen.

Richtig.

TiSA ist ja nicht von Regierungen erfunden worden – wer sind eigentlich die treibenden Kräfte hinter diesem Abkommen?

Das sind im wesentlichen Lobbyorganisationen, die mit internationalem Dienstleistungshandel zu tun haben. Dazu zählen beispielsweise Global Service Coalition, US Coalition of Service Industries oder das European Services Forum oder das Business Europe. Erstaunlich ist, dass beispielsweise beim European Services Forum natürlich die großen deutschen Dienstleister wie Deutsche Bank, DHL und Telekom mit dabei sind, aber eben auch amerikanische Dienstleistungskonzerne wie IBM, Microsoft, KPMG usw., also es ist eine Dienstleistungslobby rechts und links des Atlantiks.

Datum: 9. August 2017 um 10:32 Uhr

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