Ein Bericht von

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JEFTA: Abgekartetes Spiel zwischen Konzernlobbyisten und EU-Kommission

 

Bei vielen Handelsabkommen geht es eigentlich nicht um Handel – sondern um Privilegien für multinationale Konzerne. Das ist auch beim geplanten JEFTA-Abkommen so, wie neue Einblicke in die Geheimverhandlungen zwischen der EU und Japan belegen. Unsere Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) hat gemeinsam mit der Arbeiterkammer Österreich den Lobbyeinfluss auf die JEFTA-Verhandlungen zwischen Januar 2014 und Januar 2017 untersucht.

 

JEFTA wie TTIP: Lobbytreffen fast ausschließlich mit Großkonzernen
Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: 89 Prozent der Treffen fanden mit Lobbyisten der Großkonzerne statt, kleine und mittlere Unternehmen sowie Gewerkschaften spielten überhaupt keine Rolle. Die Zivilgesellschaft hatte gerade mal einen Anteil von vier Prozent an den Treffen. Die übrigen sieben Prozent fanden mit öffentlichen Institutionen und Think Tanks statt. Die EU-Kommission und Konzernlobbyisten machen JEFTA also weitgehend unter sich aus – so wie es beim TTIP-Handelsabkommen mit den USA auch schon war. Daran hat auch die Kritik an der EU-Handelspolitik in den letzten Jahren nichts geändert.

 

Wen traf die EU-Kommission zu JEFTA?
Von den 213 Treffen mit Lobbyisten zwischen Januar 2014 und Januar 2017 fanden 190 mit Vertretern von großen Konzernen hinter verschlossenen Türen statt. Das zeigen Auswertungen von internen Dokumenten der EU-Kommission, die auf Basis von Informationsfreiheitsgesetzanfragen von CEO erlangt wurden. Ganze sechs Treffen hatte etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit der Handelsdirektion, vier Treffen die Deutsche Post.

 

Welche Sektoren dominieren?
Ähnlich wie bei den TTIP-Verhandlungen spielen sektorenübergreifende Verbände, wie der größte europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope, die bedeutendste Rolle beim Lobbying zu JEFTA. Danach folgen die weltweit agierenden Argar- und Lebensmittelkonzerne, darunter der Verband der europäischen Weinanbauer -und Händler Comité Européen des Entreprises Vins (CEEV). Es folgt die Automobilindustrie mit ihrem europäischen Dachverband ACEA (sechs Treffen) oder dem US-Autobauer Ford (fünf Treffen).

 

Die-Top Lobbyakteure bei JEFTA
Zu den Top-Lobbyakteuren gehören BusinessEurope als größter Verband europäischer Großunternehmen, der vergleichbar ist mit dem BDI auf deutscher Ebene. Es folgen der Dienstleistungsverband ESF, der Unternehmen wie die Deutsche Bank oder KPMG vertritt, und danach der oben bereits erwähnte Weinanbauerverband CEEV mit Mitgliedsunternehmen, wie Martini, Bacardi oder Freixenet. Platz 4 und 5 und belegen die Automobilindustrie (ACEA) und der BDI.

 

Kein Treffen mit Verbänden kleiner und mittelständischer Unternehmen
Nur ganze neun mal traf sich die EU-Kommission mit der Zivilgesellschaft, also mit Verbraucherschutz- und Umweltorganisationen. Hinzu kommt, dass es die Kommission sich kein mal mit Vertretern kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) zu JEFTA traf. Und das, obwohl Handelskommissarin Malmström stets behauptet, sie nähme insbesondere die Interessen der KMUs in den Blick.

 

Ergebnisse decken sich mit Zahlen zu Gesamtlobbying
Das Machtungleichgewicht zwischen Großkonzernen und allen anderen Akteuren (kleinen und mittelständischen Unternehmen, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft) zeigt sich nicht nur bei JEFTA. Auch unsere Auswertung aller Lobbytreffen des Kabinetts der Handelsdirektion zwischen Dezember 2014 und Januar 2018 spiegelt diese ungleichen Kräfteverhältnisse wider. 481 von 555 Treffen – also rund 87 Prozent – fanden mit Unternehmensvertretern statt, nur 48 (neun Prozent) mit der Zivilgesellschaft.

 

Zwischen Dezember 2014 und Januar 2018 fand ein Großteil der Treffen der Handelsdirektion mit Konzernlobbyisten statt.

 

Jetzt Druck machen für einen Kurswechsel in der Handelspolitik

 

Die Mischung aus einseitigem Lobbyeinfluss von Konzernen, Geheimniskrämerei bei den Verhandlungen und umstrittenen Themen wie Konzernklagerechten und regulatorischer Kooperation ist inakzeptabel. Wir fordern von den Bundestagsabgeordneten, dass sie sich bei JEFTA und darüber hinaus für einen grundlegenden Kurswechsel in der Handelspolitik einsetzen. Im Mittelpunkt der Politik sollten Menschen stehen, keine Konzerne.

Jetzt für einen Kurswechsel in der Handelspolitik unterzeichnen

Weitere Infos:

Auswertungen von Corporate Europe Observatory (CEO) und der Arbeiterkammer Wien.

Donald Trumps Protektionismus:

https://www.lobbycontrol.de/2018/01/ein-jahr-trump-von-wegen-protektionismus/

 

Die demokratische Alternative

Wie bilanzieren Sie die Aktionskonferenz vom Wochenende und den Stand der Bewegung?

Die Beteiligung übertraf unsere Erwartungen. In der Öffentlichkeit finden wir breite Zustimmung. Nur eine kleine Minderheit will noch mehr Globalisierung in der Landwirtschaft, noch mehr Ungleichheit, noch mehr Abbau von Arbeitnehmerrechten. Der Druck für eine neue Wirtschafts- und Außenwirtschaftspolitik ist da.

2016 gingen Hunderttausende gegen Freihandelsabkommen auf die Straße. Zuletzt entstand der Eindruck, US-Präsident Donald Trump habe TTIP gestoppt.

Der Eindruck trügt. Unser Druck hat längst vor Trumps Ankündigung bewirkt, dass sich am Verhandlungstisch nichts mehr bewegte. Die von den USA und der EU geplanten Deals etwa bei Lebensmittelstandards oder Schiedsgerichten kamen nicht zustande. Der Prozess ist faktisch gescheitert, übrigens auch in den USA. Dort ging es nicht um Chlorhühnchen, sondern um die unpopuläre Öffnung der öffentlichen Beschaffung für europäische Konzerne. Das CETA-Abkommen mit Kanada hängt aber noch in der Luft. Wird in einem einzigen EU-Mitgliedsstaat die Ratifizierung gestoppt, so ist das ganze Projekt geplatzt.

Was wollen Sie mit dem Aktionstag gegen CETA am 29. September erreichen?

Wir haben Verfassungsklagen eingereicht. Sollte das Bundesverfassungsgericht CETA für rechtmäßig erklären, steht die Ratifizierung in Bundestag und Bundestag an. Wir werden wohl CETA im Bundestag nicht verhindern können, aber im Bundesrat hat die Große Koalition keine Mehrheit. Hier können Länder, in denen Grüne und LINKE mitregieren, in der Summe CETA per Nein oder Enthaltung blockieren. Darauf arbeiten wir hin. Im Oktober wird in Bayern und Hessen gewählt. Hessen ist schwarz-grün regiert. In Bayern wird die CSU wohl bald einen Koalitionspartner suchen müssen.

Die LINKE regiert in Berlin, Brandenburg und Thüringen mit. Wie ist dort die Resonanz?

In Berlin ist die Resonanz am stärksten, dort ist die Zivilgesellschaft etwas aktiver als in Brandenburg oder Thüringen. Noch spannender ist das Abstimmungsverhalten der Grünen. Die von ihnen getragenen Regierungen in Baden-Württemberg und Hamburg sind bisher eher auf Pro-CETA-Kurs. Das wollen wir ändern.

Angesichts der öffentlichen Debatte könnte man derzeit meinen, dass die Welt nur vor der Alternative Protektionismus oder neoliberaler Freihandel stünde.

Das ist eine Scheinalternative. Auch Trump ist kein Protektionist. Er will mehr exportieren und verlangt von Europa niedrigere Einfuhrzölle. Ihm stößt auf, dass Deutschland große Handelsbilanzüberschüsse mit den USA hat. Dass hätte er gerne andersrum. Daher sein »America first«. Die deutsche Handelspolitik lautet unausgesprochen »Germany first«.

Deutsche Konzerne mit ihrer Exportoffensive werden nicht freiwillig auf ein nachhaltiges Wirtschaften umsteigen. Wie wollen Sie Ihre Ziele durchsetzen?

Indem wir der Politik klarmachen, dass sie Wählerstimmen verlieren, wenn sie weiterhin Politik für Konzerne und gegen die Mehrheit der Menschen machen. Wir sind doch nicht dazu da, in alle Welt Fleisch zu exportieren und dazu aus Südamerika große Mengen Soja zu importieren. Das dient einzig und allein dem Profit weniger.

2019 wird ein neues EU-Parlament gewählt. Wollen Sie in den Wahlkampf eingreifen?

Das EU-Parlament hat bisher relativ kritiklos die Freihandelsabkommen von Regierungen und EU-Kommission abgenickt. Wir verlangen von den Kandidaten ein klares Bekenntnis gegen diese neoliberale Handelspolitik.

Neben CETA sind derzeit aber noch andere Freihandelsabkommen geplant.

Die sind ähnlich gestrickt. Die Afrika-Abkommen werden derzeit übrigens von den Afrikanern aufgehalten, weil Nigeria und Tansania sie nicht ratifizieren wollen. Das EU-Japan-Abkommen (JEFTA) ist genauso schädlich wie CETA. Und viele andere Abkommen befinden sich in der Pipeline - etwa mit Südamerika, Tunesien, Marokko, den Philippinen, Indonesien, Indien, Australien oder Neuseeland.

Wie sehen Sie die aktuellen Debatten über Migration und Asyl?

Handelspolitik ist eine wesentliche Migrationsursache. Besonders in Afrika zerstören europäische Agrarexporte die Existenzgrundlage von Kleinbauern, die dann notgedrungen woanders eine neue wirtschaftliche Grundlage suchen. Deshalb muss diese Agrarpolitik aufhören. Es kann nicht sein, dass sich unsere Regierung von früh bis spät über Flüchtlinge unterhält, aber nicht willens ist, die Fluchtursachen abzustellen, auf die sie direkten Einfluss hat - vor allem die Agrarexportpolitik.

Könnte Ihr Engagement den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nehmen?

Absolut. Wir stehen für die demokratische Alternative zum Neoliberalismus. Die Rechtspopulisten stehen für die undemokratische Alternative. Es ist kein Zufall, dass die rechte FPÖ in Österreich 2017 im Wahlkampf versprach, CETA zu stoppen. Und jetzt hat sie es als Regierungspartei in der Koalition durchgewunken. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Welche Handelspolitik wäre aus Ihrer Sicht gerecht?

In Wirklichkeit ist die Globalisierung zu weit gegangen. Wir brauchen eine neue Balance zwischen regionalen und globalen Märkten.....

 

aus neues-deutschland.de / 08.02.2018 :

Union und SPD wollen Freihandelsabkommen vorantreiben - mit weitreichenden Auswirkungen

Haidy Damm

Die Parteien der Großen Koalition wollen nicht nur das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) ratifizieren, sondern auch eine Reihe weiterer Abkommen voranbringen. Während die Verhandlungen der EU sowohl mit den USA (TTIP) als auch mit Indien auf Eis liegen, sollen die Abkommen mit Japan, den Mercosur-Staaten oder Mexiko auch mit Hilfe aus Berlin zum Abschluss gebracht werden. So steht es in der Neuauflage des Koalitionsvertrages zwischen der Union und SPD.

All diese Abkommen hätten negative Folgen für Verbraucherrechte, Umweltstandards und demokratische Prinzipien. Darauf verweist die am Mittwoch in Brüssel vorgestellte Studie der Nichtregierungsorganisationen Power-Shift und Foodwatch. Sie fordern den Stopp der Verhandlungen und eine »komplette Neuausrichtung der europäischen Handelspolitik«, wie es in der Studie »Handel um jeden Preis?« heißt. Die EU habe aus den Protesten gegen TTIP und CETA offenbar nichts gelernt, sagte Thilo Bode, Geschäftsführer von Foodwatch International.

Bei den geplanten Abkommen gehe es nicht nur um den Wegfall von Zöllen oder die Öffnung von Märkten. Ähnlich wie bei TTIP und CETA seien sie Freihandelsabkommen einer »neuen Generation«, die auch die Beseitigung sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse beinhalteten, also Regulierungen im Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz. Standards könnten durch Handelsverträge gesenkt werden, sodass sie in Zukunft nicht mehr einseitig von einem Handelspartner verschärft oder verbessert werden könnten, so Studienautor Thomas Fritz von PowerShift, der die Studie zusammen mit Alessa Hartmann im Auftrag von Foodwatch erstellt hat. Hinzu komme, dass in keinem der Abkommen das europäische Vorsorgeprinzip abgesichert sei. Stattdessen soll der »nachsorgende Ansatz« der Welthandelsorganisation gelten, der letztlich bedeutet: Eine Substanz ist so lange zugelassen, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen ist. Beim Vorsorgeprinzip der EU ist es genau umgekehrt: Hier muss ein Unternehmen die Unschädlichkeit vor der Zulassung nachweisen.

Untersucht werden in dem Bericht fünf EU-Handelsabkommen, denen bisher nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde: mit Japan, Vietnam, Indonesien und Mexiko sowie mit dem Mercosur-Verbund der südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay.

Ein Streitpunkt bleiben die verhandelten Investitionsschutzklagerechte (ISDS). Während die EU auf die durch CETA reformierte Version setzt, beharrt beispielsweise Japan im Abkommen JEFTA auf dem alten ISDS, das im Mittelpunkt der Proteste gegen CETA und TTIP stand. Kritiker befürchten - auch in der reformierten Variante - eine Einschränkung demokratischer Prinzipien, weil Konzerne politische Entscheidungen durch Klagen aushebeln könnten. Im November hatte die EU-Kommission erklärt, das Handelsabkommen mit Japan ohne den Investitionsteil als »EU-only-Abkommen« ratifizieren zu wollen. Damit ist sie nicht auf die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten angewiesen. Sie erwägt zudem, Handels- und Investitionsschutzabkommen in Zukunft getrennt voneinander zu verhandeln und ratifizieren zu lassen. Auch in den Verträgen mit Vietnam, Indonesien und Mexiko ist ein umfassender Investorenschutz geplant.

Konkret untersucht wurden auch die Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Umwelt. So würde das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten die Fleischimporte aus Südamerika in die EU ausweiten. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf die europäische Fleischindustrie, sondern auch auf die Umwelt - etwa in Brasilien. Dort produzieren Rinderfarmer enorm kostengünstig große Mengen, indem sie einen Großteil der Tiere auf gerodeten Regenwaldflächen halten.

Ähnliches gilt für Palmöl aus Indonesien. Rund zehn Prozent der Exporte des weltgrößten Palmölproduzenten gehen in die EU. Das Land erhofft sich durch den Wegfall von Handelsschranken mehr Exporte nach Europa. Damit könnten die Anbauflächen noch weiter wachsen. Die Folge wären deutlich höhere Treibhausgasemissionen. Zwar setzt sich die EU offiziell für einen nachhaltigen Anbau von Palmöl ein - allerdings nur mit freiwilligen Initiativen.

 

 

Demonstrierende verklagen die Freie und Hansestadt Hamburg wegen Einschränkungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit im Zuge der Proteste gegen das G20-Treffen im Juli 2017. Hamburger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wollen durch das Verwaltungsgericht Hamburg anhand von Einzelfällen exemplarisch feststellen lassen, dass Versammlungsverbote und Polizeieinsätze gegen Demonstrierende rechtswidrig waren.

Der G20-Gipfel war kein »Festival der Demokratie«, wie Innensenator Andy Grote im Vorwege behauptete. Stattdessen wurde der Ausnahmezustand zelebriert, in dem die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger außer Kraft gesetzt wurden.

Alles begann mit der Auseinandersetzung um die geplanten Protestcamps, in denen mehrere Tausend Menschen übernachten sollten, um gegen das G20-Treffen zu protestieren. Mehrtägige Veranstaltungen mit mehrtägigem Protestgeschehen benötigen Beherbergung der Demonstrierenden. Die geplanten Protestcamps waren selbst Teil des geplanten friedlichen Protestes. Schon früh stellte der Hamburger Senat klar, dass er solche Camps nicht zulassen würde. Dieses Verbot wurde von der Versammlungsbehörde und der Polizei mit allen Mitteln durchgesetzt, begleitet von einer Strategie der Diffamierung und Kriminalisierung friedlicher Versammlungen. Dabei wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vollständig missachtet.

Die vier folgenden Fälle halten die Demonstrant*innen und Anwält*innen für exemplarisch:

Camp Entenwerder

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hatte explizit die Übernachtung beim G20-Protestcamp Entenwerder erlaubt. Am 5. Juli teilte das Gericht mit, dass zu den bisher genehmigten Veranstaltungszelten bis zu 300 Schlafzelte für jeweils zwei bis drei Menschen aufgestellt werden dürfen. Trotzdem schritt die Polizei gegen das „Antikapitalistische Protestcamp“ ein und verhinderte es so. Der Anwalt Martin Klingner spricht von einem „Verstoß gegen die Gewaltenteilung“ und einem „Putsch der Exe-kutive gegen die Judikative“. Ein Ziel der Klage ist, dass die polizeilichen Einsätze rechtswidrig erklärt werden.

Camp Altona

Das Camp in Altona habe ebenso durch Schikanen der Polizei nicht stattfinden können wie geplant. Laut der Anwältin Ulrike Donat habe hier die Sicherheitsbehörde die Herrschaft über verfassungsrechtlich garantierte Grundfreiheiten übernommen. Schon im Vorfeld habe die Behörde das Camp verhindern wollen. Einer der Anmelder des Camps schildert am Donnerstag bei der Pressekonferenz im Gängeviertel seine Erlebnisse vor Ort im Juli. Als Mitglied eines Vereins, der sich bundesweit an der Organisation der Proteste gegen den Gipfel beteiligt, habe er viel Erfahrung. So etwas wie in Hamburg habe er noch nie erlebt: „Wir fühlten uns von der Behörde verarscht.“ Die Kläger*innen sind der Ansicht, Camps müssten geschaffen werden, um den Portest zu ermöglichen.

Polizeieinsatz 7.7.2017

Am Freitagvormittag des Gipfels nahmen Demonstrierende an einer Blockade teil, um die Protokollstrecke von US-Präsident Donald Trump zu blockieren. Der Zug wurde von der Polizei getrennt und die Demonstrierenden angegriffen, ohne Vorwarnung. Ein Video zeigt, wie Polizeibeamte mit Schlagstöcken hinter Demonstrierenden in Sommerkleidung herrennen. Ein weiteres Video zeigt die blutende Platzwunde am Kopf einer Attac-Aktivistin aus Köln, die auch als Klägerin auftritt.Ihr Anwalt Dieter Magsam spricht im diesem Fall von „Anwendung nackter Gewalt gegen friedliche Menschen“ seitens der Polizei und will, dass die Stadt Hamburg die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes anerkennt.

Versammlungsverbote 7.7.2017

Beim vierten Fall geht es um drei Veranstaltungen, die die Nichtregierungsorganisation Attac in der großen Demonstrationsverbotszone angemeldet hat. Jeweils für 80, 50 und 50 Teilnehmer*innen. Sie fielen aber alle drei unter das allgemein ausgesprochene Versammlungsverbot und durften nicht innerhalb der sogenannten „Blauen Zone“ stattfinden. Für die Anwältin Waltraut Verleih aus Frankfurt gibt es hier mehrere Verstöße gegen Grundrechte wie Versammlungs-, Meinungs-, Kunst- und Handlungsfreiheit. Ziel der Klage ist auch, die polizeiliche Gefahrenprognose zu prüfen.

Das repressive Vorgehen gegen die Camps fand seine Fortführung im polizeilichen Vorgehen gegen eine Vielzahl von Versammlungen, die sich gegen das G20-Treffen richteten. Beispielhaft war der Polizeieinsatz am 7. Juli 2017 an der Straßenkreuzung Sechslingspforte/ Ackermann-/ Ekhofstraße. Gegen friedliche Versammlungsteilnehmende wurde Pfefferspray eingesetzt, sie wurden geschlagen und getreten sowie erheblich verletzt.

Gemeinsame Pressekonferenz von RAV e.V., Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. sowie Attac Deutschland e.V. am Donnerstag, 11. Januar 2018

 

Hamburger Polizei ist uneinsichtig

Die Hamburger Polizei hat keine Beweise für einen geplanten Hinterhalt im Schulterblatt am 7. Juli und sieht sich trotzdem im Recht.

G20-Demonstranten stehen auf Hausdach

Hinterhalt für die Polizei? Beweise gibt es dafür bisher nicht. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz, 9. Okt. 17 | Ist es Sturheit, PR-Strategie oder Überzeugung? Obwohl es keine Beweise gibt, hält die Polizei Hamburg weiter an ihrer Darstellung fest, am 7. Juli hätten Aktivist*innen im Hamburger Schanzenviertel einen Hinterhalt auf die Polizei geplant. Nach dem G20-Gipfel war die Polizei in Erklärungsnot geraten, weil sie erst nach Stunden das Schanzenviertel gestürmt hatte, während Unbekannte dort schon längst Läden geplündert und meterhohe Feuer entzündet hatten. Anwohner*innen und Gewerbetreibende fühlten sich von den rund 23.000 Polizist*innen, die in der Stadt waren, im Stich gelassen.

Es habe Lebensgefahr für die Beamt*innen bestanden, hatte Polizeisprecher Timo Zill am nächsten Tag gegenüber der Presse gesagt. Es habe Hinweise gegeben, Aktivist*innen hätten sich mit Eisenspeeren, Gehwegplatten, präparierten Feuerlöschern, Molotowcocktails und Steinen bewaffnet und auf den Dächern im Schulterblatt positioniert. Erst gegen ein Uhr morgens hatte ein Sondereinsatzkommando (SEK) das Viertel geräumt.

In einer Kleinen Anfrage wollte die Abgeordneten der Hamburger Linksfraktion Christiane Schneider nun wissen, welche der Gegenstände im Schulterblatt tatsächlich gefunden wurden. Die Antwort: keine. Auch ein Polizeiauto, das nach Polizeidarstellungen durch einem Bewurf mit Molotowcocktails abgebrannt war, sei nun doch nicht abgebrannt, schreibt der Senat in seiner Antwort.

Von einer falschen Lageeinschätzung will Zill dennoch nicht sprechen. „Im Gegenteil“, sagt er. „Wir halten ganz klar an der bisherigen Darstellung der Ereignisse fest.“ Die Hinweise auf den Hinterhalt seien von Zivilpolizist*innen gekommen, die im Schanzenviertel unterwegs waren, und von Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes. Als die Polizei schließlich das SEK ins Viertel schickte, habe sich laut Zill der Eindruck ergeben, die Gefahrenprognose sei völlig richtig gewesen. „Es gab ja Personen auf den Dächern“, sagt er. „Nach dem, was wir da gesehen haben, musste sich die Gefahr realisieren.“

Auf die Frage, warum dann keine Beweismittel gefunden worden seien, erklärt Zill, Beweissicherung sei keine Priorität des SEK gewesen. Stattdessen sei es darum gegangen, die Häuser zu sichern. Erst vier Tage nach dem Gipfel hat die Polizei versucht, Beweismittel im Schulterblatt und auf den dortigen Dächern zu sichern. Der Senat begründet das in seiner Antwort auf Schneiders Anfrage mit Ressourcenmangel.

Schneider gibt sich mit dieser Begründung nicht zufrieden. „Klar ist, dass die Version der Polizei mangels Beweisen stark erschüttert ist“, sagt sie. Damit stelle sich „in aller Schärfe“ die Frage, warum die Polizei die Anwohner*innen in der Schanze trotz Plünderungen und Bränden sich selbst überlassen habe. Und auch, warum dann, Stunden später, schwer bewaffnete SEK-Beamt*innen eingerückt seien und das ganze „moderne Polizeiequipment“ aufgefahren hätten.

G20-Asservatenkammer

Die Polizei hat über die Tage des Gipfelprotests 1.659 Beweise gesammelt. Nur keine im Schulterblatt.

Das fand sie andernorts:

Eisenspeere: 0

Pyrotechnik: 50

Krähenfüße: 3

Feuerlöscher: 3

Transparente: 5

Spraydosen: 16

Drahtseile/Seile: 3

Stahlkugeln: 2

Zwillen: 2

Molotowcocktails: 5

Funkgeräte: 2

Zeltstangen: 3

Sonstiges: 103

Für den SEK-Einsatz rechtfertigte sich der Einsatzabschnittleiter aus Niedersachsen, Michael Zorn, am 19. Juli vor dem Innenausschuss. Er nannte den Einsatz einen „Antiterroreinsatz“. Am Abend des 7. Juli habe ihn der Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde angerufen. Der „befürchtete, dass die Kräfte (also normale Polizeieinheiten, Anm. d. Red.) bei einem Vorrücken von den Dächern oder auch vom Gerüst mit Molotowcocktails, Gehwegplatten, Steinen, Eisenstangen und so weiter beworfen werden, sodass eine akute Lebensgefahr für die Einsatzkräfte bestünde“, sagte Zorn dem Ausschuss.

Der Einsatzleiter der Kriminalpolizei, Jan Hieber, fügte hinzu, es habe Hinweise gegeben, dass Personen Läden geplündert und dabei Metallteile entwendet hätten, um diese als „selbstgemachte Eisenspeere“ bereitzulegen. Dazu schreibt der Senat nun: „Beweismittel, die die damals vorliegenden Hinweise bestätigen, liegen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor.“ Er weist aber darauf hin, dass die Ermittlungen der Sonderkommission „Schwarzer Block“ noch andauern.

Offen bleibt die Frage nach der Plausibilität der Hinweise, die der Verfassungsschutz gegeben haben soll. Die Frage, ob es dort überhaupt üblich ist, dass V-Personen in konkreten Situationen Hinweise an die Polizei geben, ließ die Behörde unbeantwortet. Das sei schließlich Thema des Sonderausschusses G20, sagte eine Sprecherin. Dieser Aufarbeitung wolle man nicht vorgreifen.

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