Die Anti-Corona-Demonstrationen und die Sprachlosigkeit progressiver Kritik.

Von Gerhard Hanloser -  29.08.2020 - nd

Linke mit klammheimlicher Freude an Coronaleugnerdemos und Solidaritätsgefühl für die Coronarebellen - gibt es das? Ja. Ein kleiner Teil jenseits des Mainstreams der Linken artikuliert sogar deutliches Einverständnis in Alternativmedien wie »Rubikon« und sammelt sich in kleinen Bestätigungsgemeinschaften der letzten Aufrechten.

Sie werden vom Ressentiment getrieben, der »leeren Negation«, wie man im Hegeljahr sagen könnte. Sie sind faktenresistent und in ihren entgrenzten Warnungen vor einer »Corona-Diktatur« scheinen sie einen alten Militantismus der Neuen Linken zu beerben, betreiben aber nur die Zerstörung der Vernunft. Vor einem ominösen »Diskurs der Macht« verblasst die Realität des Virus. Sie schwadronierten in verzückter Fernsolidarität mit den Aufmärschen der diffusen Rebellen von einer »Freiheitsbewegung«, die irgendwelchen ominösen Machtinteressen entgegenstehen würde.

Für die realen Parolen, die soziale Zusammensetzung wie die erdrückende Anzahl rechter Strukturen und Einzelpersonen in den Aufmärschen sind sie strategisch blind. Den rabiaten egozentrischen Neoliberalismus in der Freiheitsemphase wollen sie nicht erkennen. Erstaunlich ist, dass unter diesen aus der Linken kommenden Intellektuellen ein ganzer Haufen Psychoanalytiker und Therapeuten zu finden ist. Neben einer falschen Demut vor den »einfachen Leuten«, die sie in den Protestierenden sehen wollen, mischt sich in den elitären Populismus die Arroganz von Bessergestellten und Saturierten gegenüber einem potenziell tödlichen Virus, der weltweit die arbeitenden Armen trifft. Das Hofieren der diffusen, egoistischen bis faschistoid aufgeladenen Coronarebellen-Szene zeigt eine barbarische Tendenz an, die in Umbruchssituationen auch immer einen Teil des intellektuellen Bürgertums erfasst.

Ein »Anti« ins Leere

Doch dies stellt nur den Narrensaum einer zerfransten Linken dar. Was auf der anderen Seite übrig geblieben ist, sind überforderte Antifaschist*innen, die ihre anfänglichen Anti-Parolen wie »Gegen Querfront« oder »Keine Chance den Verschwörungstheoretikern« auch in den regierungsnahen Presseorganen lesen konnten. Besonders aktivistische Antifaschist*innen stopften in der Vergangenheit die Zeitungen der Hygienedemoaktivisten vor der Volksbühne ungelesen in Papierkörbe und wurden dafür als »rote Faschisten« bezeichnet - von Menschen, die so gar nicht dem typischen Bild des »Rechten« entsprachen, ja vielleicht sogar eher wie Anti-Atom-Demonstrant*innen der 1970er und 1980er daherkamen.

Wacker protestieren »Omas gegen rechts« und andere linke Vereinigungen gegen eine Bewegung an, die seit ihrem Entstehen immer deutlicher zum Tummelfeld für Rechtsradikale wurde. Doch die antifaschistischen Vorhaltungen, hier demonstrierten Nazis, prallten auch an scheinbar normalen Demonstrant*innen einfach ab. Unter den über 20.000, die am 1. August in Berlin demonstrierten, war nur eine Minderheit klar rechtsradikal. Antifaschismus allein half und hilft offensichtlich nicht weiter.

Die marxistische Linke sah in den Corona-Maßnahmen der Regierung eine notwendige, sogar zu spät ergriffene Maßnahme zur Unterbindung der Pandemie, machte aber auch auf die Folgen aufmerksam: Firmenpleiten der kleinen Wirtschaftsakteure, Armut, Vereinsamung in den unteren Klassen, staatsinterventionistische Unterstützung großer Konzerne. Die schlagartig mobilisierte Verschuldungspolitik überlagerte außerdem die aufgeschobene Krisentendenz des Kapitals, und irgendwann werden die abhängig Beschäftigten, die jetzt schon von Corona betroffen sind, die Krise und die Politik der Regierenden ausbaden müssen. Gegenwehr ist also notwendig.

Doch derartige Analysen lassen sich nur schwer zu Parolen vereinfachen. Diese fehlten folglich auf der Straße. Manch braver DKP-Schreiber wollte ohnehin nur den Familienbetrieb zusammenhalten und warnte die eigene Gemeinde davor, sich mit »denen«, dem gefährlichen, infektiösen Straßenmob, »einzulassen«. Der traditionskommunistische Hinweis auf das angeblich gelungene Krisenmanagement in der Volksrepublik China wirkt so wenig glaubwürdig wie es politische Attraktivität beinhaltet. Will man mit diesen Leuten Bürgerrechte gegen den überhand nehmenden Notstandsstaat verteidigen? Und für die regierende Linke sind Leute auf der Straße immer eher ein Ärgernis und Sicherheitsproblem als ein Zeichen des Aufbruchs.

Die Linke ist nicht mehr ein Pol konkreter Negation des Bestehenden. Sie leidet nicht nur an Mangel an Ausstrahlung und Selbstbewusstsein, sondern auch unter fehlender sozialer Fantasie, die sie einst im Zuge der italienischen Autonomia und des Spontaneismus gelernt hatte. »Wir zahlen die Coronakrise nicht«, »Öffentliche Infrastruktur jetzt!«, »Totschuften in und nach der Krise? - Nicht mit uns!«, »Wir wollen alles - nur nicht den Virus!«. Parolen dieser Art waren Mangelware.

Während der Wiener Identitäre Martin Sellner strategisch geschickt reflektiert, inwiefern sich die teils unpolitischen, teils ungerichteten, teils rechtsoffenen Demonstrationen und Aufmärsche zu einer völkischen und anti-migrantischen Bewegung verdichten lassen, hat die radikale Linke von vornherein Abstand zu Protest und Straße gehalten. Die Anliegen der Proletarisierten, der Außerkursgesetzten und der sozial wie psychisch mit Lockdown-Folgen Überforderten hat niemand in Worte gefasst. Niemand hat auf der Straße die unterschiedlichen Interessen derjenigen benannt, die vereint als »Coronarebellen« demonstrierten.

Strauchelnde Suchbewegungen

Dabei waren deren soziale wie ideologische Träger höchst divers - und damit auch spezifisch adressierbar, um einen Keil zwischen diese unterschiedlichen Kräfte zu treiben: Mittelständler, prekär Beschäftigte, Nazis, arbeitslose Hippies, egoistische Partypeople, entnervte Alleinerziehende und vielköpfige Familien. Hier gehört nicht fest zusammen, was zusammen demonstriert. Neben den reaktionären Neoliberalen, die mit »Freiheit!« ein Zurück zur Vor-Corona-Zeit meinen, und den faschistisch-völkischen Kernen, die »Freiheit« rufen und ein Reich oder den Ethnonationalstaat meinen, gab und gibt es auch die vielen Versprengten, die sprachlos etwas ganz anderes wollen - nur was?

Die ideologischen Muttermale dieser Suchbewegung, die über den Status quo hinaus wollte, hätte man etwa in der Zeitung »Demokratischer Widerstand« besichtigen und in Gesprächen mit einigen Teilnehmenden bestaunen können. Nicht alles daran war hässlich. So formulierten diese zeitungsschreibenden Hygienedemonstrant*innen sogar Solidaritätsbekundungen für die multiethische Jugendrebellion in Stuttgart. Rechtsoffen ist anders. Wenn die Linke nur noch Rechte sieht, auch wo keine sind, hat sie verloren. Wenn sie sich für die Strauchelnden, Unklaren und Suchenden nicht mehr interessiert und diese nicht mehr von den falschen Propheten zu isolieren versucht, ist es nicht erstaunlich, wenn die Rechten abräumen.

Gerhard Hanloser beobachtet die einschlägigen Demos seit Monaten und hat dazu publiziert.