Liebe Leserinnen und Leser,

liebe Interessierte an einer neuen Handelspolitik,

wir hoffen, dass Sie gut ins neue Jahr gekommen sind und wünschen Ihnen alles Gute für 2020.

Wir hoffen auch, dass Sie in diesem Jahr erneut voller Energie mit uns für einen gerechten Welthandel streiten werden – zu tun gibt es genug! Bereits am Samstag nächster Woche werden wir uns an der bundesweiten Großdemonstration „Wir haben es satt!“ beteiligen. Im gemeinsamen handelspolitischen Block fordern wir, ein Veto gegen das EU-Mercosur-Handelsabkommen einzulegen, das dramatische Folgen für das Klima und die bäuerliche Landwirtschaft dies- und jenseits des Atlantiks hätte. Sind Sie am 18. Januar in Berlin mit dabei?

Alle Informationen zur „Wir haben es satt!“-Demonstration sowie zu weiteren Themen aus der Welt der Handels- und Investitionspolitik erfahren Sie in diesem Newsletter.

+ + + 2020 gemeinsam gegen das EU-Mercosur-Handelsabkommen + + +

2020 stehen wichtige Entscheidungen an, unter anderem soll das Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten abgeschlossen werden: Nach der juristischen Prüfung, Ergänzung der noch fehlenden Textteile und Übersetzung in alle EU-Amtssprachen könnte es im zweiten Halbjahr dem EU-Ministerrat vorgelegt werden. Ein Inkrafttreten des EU-Mercosur-Abkommens wollen wir verhindern und fordern von der Bundesregierung, ein Veto im Rat einzulegen! Denn das Abkommen verfestigt ein Landwirtschaftsmodell, das auf Monokulturen und massiven Pestizideinsatz setzt, und hat dramatische Folgen für Umwelt und Gesundheit der Menschen vor Ort. Es wird den ruinösen Preiskampf in der globalen Landwirtschaft noch weiter verschärfen, die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes beschleunigen und den Klimawandel weiter anheizen.

Die neue österreichische Regierung hat sich bereits gegen das EU-Mercosur-Abkommen positioniert und im Regierungsübereinkommen ein klares Nein verankert. Schon im letzten Jahr positionierten sich Frankreich, Irland, und Luxemburg gegen das Abkommen in der aktuellen Form. Und auch im EU-Parlament gibt es heftigen Gegenwind: Mitte Dezember diskutierten die Abgeordneten über die Vereinbarkeit des Abkommens mit den Klimaschutz-Zielen – und kamen zu folgendem Ergebnis, wie Top Agrar berichtete: „Die anhaltende Vernichtung von Regenwäldern für den Anbau von Soja und Rinderzucht im Amazonasbecken, sei weder mit den Nachhaltigkeitszielen des Pariser Klimaabkommens noch mit dem Green Deal der von der Leyen-Kommission vereinbar. Dies war der Grundtenor der eineinhalbstündigen Aussprache im EU-Parlament am Mittwochnachmittag in Straßburg.“

Die Bundesregierung hingegen hält unbeirrt an ihrer Befürwortung des Abkommens fest und streitet alle negativen Auswirkungen des Abkommens ab, was sich beispielsweise in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag vom November zeigte. Daher lasst uns gemeinsam Druck machen und unseren Protest auf die Straße tragen!

Wir rufen dazu auf, bei der „Wir haben es satt!“-Demonstration am 18. Januar in Berlin teilzunehmen. Gemeinsam mit Attac, NaturFreunden und vielen weiteren organisieren wir einen handelspolitischen Demo-Block.

Statt blinder Marktöffnungen und Handelsabkommen im Interesse von Konzernen fordern wir eine gerechte Handelspolitik, die dem Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz dient und die bäuerliche und nachhaltige Landwirtschaft fördert.

Aufruf zum Handels-Block unter https://www.wir-haben-es-satt.de/informieren/aufruf/handelsblock/

Zum Weiterlesen: Sieben Gründe gegen das EU-Mercosur-Abkommen

In den kommenden Wochen und Monaten wollen wir unsere Kritik am EU-Mercosur-Abkommen bündeln, uns mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren vernetzen und Aktivitäten planen. Gemeinsam mit weiteren Organisationen und Verbänden veranstalten wir daher im Februar ein zivilgesellschaftliches Ratschlags-Treffen zum EU-Mercosur-Abkommen in Berlin.

+ + + 2020 gemeinsam gegen CETA + + +

2020 könnte auch das entscheidende Jahr sein, um das EU-Kanada-Abkommen CETA zu stoppen! In den Niederlanden regt sich derzeit parlamentarischer Widerstand gegen das Abkommen – gut möglich, dass es bei den bevorstehenden Abstimmungen in der ersten oder zweiten Kammer scheitern wird.

In Deutschland muss das Bundesverfassungsgericht noch über eine Verfassungsbeschwerde entscheiden, die Campact, Foodwatch und Mehr Demokratie mit Unterstützung von über 125.000 Menschen eingereicht haben. Die Beschwerde richtet sich gegen die durch CETA geschaffenen Ausschüsse, gegen die Sonderklagerechte für Konzerne und gegen einige weitere Aspekte des Abkommens. Auch die Partei Die Linke hat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen CETA geklagt, auch hier steht eine Entscheidung noch aus. Sollte das Bundesverfassungsgericht keine Bedenken gegen CETA haben, könnte die Große Koalition auch hierzulande ein Ratifizierungsgesetz auf den Weg bringen. Dann wird es in erster Linie darauf ankommen, dass Die Linke sowie Bündnis90/Die Grünen weiterhin an ihrem Nein zum Abkommen festhalten. Im Bundesrat verfügen die Landesregierungen mit grüner Regierungsbeteiligung aktuell über 41 von 69 Stimmen, damit können sie das Abkommen dort stoppen.

Doch auch bei der SPD ist möglicherweise noch nicht alles entschieden. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stehen CETA betont kritisch gegenüber, wie sie uns vor ihrer Wahl zum Parteivorsitz mitteilten. Insbesondere wegen der enthaltenen Sonderklagerechte für Investoren bewerten sie das Abkommen als „unzureichend“ und fordern ihre Partei zu einer weiteren Befassung mit dem Thema auf. Wir hoffen, dass diesen Aussagen Taten folgen werden!

+ + + 2020 gemeinsam gegen Sonderklagerechte für Konzerne! Verleihung der „Goldenen Klobürste“ an Vattenfall und Uniper + + +

Vor knapp einem Jahr, im Januar 2019, starteten wir gemeinsam mit über 200 europäischen Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen die Kampagne „Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!“. Damit setzen wir uns für ein Ende der Sonderklagerechte ein, welche im Rahmen von Handels- und Investitionsschutzabkommen an internationale Investoren verliehen werden. Zudem fordern wir verbindliche globale Regeln, um Konzerne für Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltschutz zur Rechenschaft zu ziehen.

Weit über 600.000 Menschen haben seitdem schon für unsere Forderungen unterschrieben – Sie auch? Wir bitten Sie darum, die Petition zu unterzeichnen und den Link an Freund*innen, Verwandte und weitere Interessierte weiterzuleiten: www.gerechter-welthandel.org/menschenrechte-schuetzen-konzernklagen-stoppen. Ende Januar wollen wir die Unterschriften an das Wirtschaftsministerium übergeben. Unsere Kolleg*innen in Brüssel kümmern sich darum, dass auch die EU-Kommission unsere Unterschriften persönlich entgegen nimmt.

Einige der an der Kampagne beteiligten Organisationen haben den Negativpreis der „Goldenen Klobürste“ aus der Taufe gehoben. Für den Preis nominiert wurden Unternehmen, die sich durch besonders schlechtes Verhalten gegenüber der Bevölkerung, dem Klima- oder Umweltschutz ausgezeichnet haben. In Deutschland wollen wir die „Goldene Klobürste“ an die Energiekonzerne Vattenfall und Uniper verleihen, die sich durch die Anrufung von internationalen Schiedsgerichten gegen den Umwelt- und Klimaschutz stellen und die demokratische Energiepolitik torpedieren.

+ + + Veröffentlichungen + + +

Der globale Emissionstransfer: Warum die EU-Klimabilanz nicht die handelspolitische Wahrheit sagt

Die EU-Bilanz der Treibhausgasemissionen ist erheblich geschönt. Denn unberücksichtigt bleiben die riesigen Nettoimporte von Emissionen. Würden die dreckigen Lieferketten europäischer Konzerne offiziell bilanziert, müssten die EU-Reduktionsziele weit höher ausfallen.

https://thomas-fritz.org/default/der-globale-emissionstransfer

 

+ + + Termine + + +

Klimakiller Freihandel: Was das EU-Mercosur Abkommen mit Klimagerechtigkeit zu tun hat

13. Januar 2020, 18:30-20:30, Berlin

Fleisch gegen Autos, auf diese Formel wird das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den südamerikanischen Mercosur Ländern (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) oft heruntergebrochen. Doch auch darüber hinaus behindert das Abkommen den Kampf für Klimagerechtigkeit auf vielfältige Weise. In dieser Veranstaltung wollen wir anhand von zwei kurzen Vorträgen das Handelsabkommen der EU mit dem Mercosur genauer unter die Lupe nehmen und diskutieren, wie Handelsabkommen einer gerechten Klimapolitik im Wege stehen. Zudem wollen wir sehen ob und wo es Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Arbeit der Handels- und Klimabewegung und Möglichkeiten zum Handeln gegen das Abkommen gibt. Diese Veranstaltung richtet sich vor allem an Aktivistis aus der vielfältigen Klimabewegung, aber auch alle anderen interessierten Menschen sind herzlich willkommen!

Referentinnen: Camila de Abreu (Aktivistin der Brasilien Initiative in Berlin und des RefrACTa Coletivo Brasil-Berlin), Bettina Müller (PowerShift)

Veranstaltet von Attac Berlin, Extinction Rebellion Berlin, und PowerShift e.V.

Alle Infos im Facebook-Event: www.facebook.com/events/434737744136844/

„Wir haben es satt!“-Demonstration: Agrarwende anpacken, Klima schützen!

18. Januar 2020, 12 Uhr, Berlin

Alle Informationen unter www.wir-haben-es-satt.de

Aufruf zum handelspolitischen Block: www.wir-haben-es-satt.de/handel

Protestaktion gegen Konzernklagen und Preisverleihung der „Goldenen Klobürste“ an Vattenfall und Uniper

21. Januar 2020, 13-15 Uhr, Berlin

Eine Aktion im Rahmen der Kampagne „Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!“

Weitere Infos in Kürze unter www.gerechter-welthandel.org

Zivilgesellschaftliches Ratschlags-Treffen zum EU-Mercosur-Abkommen: Gerechter Welthandel statt „Fleisch für Autos“-Deals!

10. Februar 2020, 10-16 Uhr, Berlin

Veranstaltet von: AbL, Attac, Brot für die Welt, BUND, Bündnis für gentechnikfreie Landwirtschaft Niedersachsen/Bremen/Hamburg, Forum Umwelt und Entwicklung, IG Nachbau, Greenpeace, Misereor, NaturFreunde, Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift

Alle Informationen, Programm sowie Anmeldeformular unter https://www.gerechter-welthandel.org/eu-mercosur-treffen2020/

Sie wollen noch mehr Informationen zur Handelspolitik? Dann besuchen Sie unsere Webseite www.gerechter-welthandel.org, unsere Facebook-Seite www.facebook.com/netzwerkgerechterwelthandel oder folgen Sie uns auf Twitter https://twitter.com/NetzWelthandel.

Der nächste Newsletter erscheint in ca. 4-6 Wochen.

Impressum:

Forum Umwelt und Entwicklung, Marienstraße 19-20 - 10117 Berlin

 

https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2019-7-US-Klima-Web.pdf

.... Auszug rauskopiert - hier schon mal das Fazit aus dieser Studie:

Fazit:
Zu diesem Schluss
kommt ein neuer Sonderbericht des Weltklimarats IPCC.
Der
Bericht bestätigt, dass sich der Klimawandel immer fataler und einschneidender auf die Weltmeere und die Kryosphäre (Gesamtheit des in gefrorenem Zustand auf der Erde vorkommenden Wassers) auswirkt. Alle bisherigen Prognosen zum Anstieg des Meeresspiegels und dem Schmelzen der weltweiten Eis- und Schneevorkommen müssen nach oben korrigiert werden.
Beson
ders gravierend sieht es in Grönland und der Arktis aus, wo sich der Klimawandel mit nahezu doppelter Geschwindigkeit vollzieht. Auch die Folgen der Erwärmung für die Meeresumwelt sind dramatisch. Die Ozeane leiden unter Sauerstoffmangel und versauern immer schneller. Die Folgen: Extreme Hitzewellen werden zunehmen mit entsprechenden Konsequenzen für die Meeresbewohner und die Küstenmetropolen dieser Welt. Die Forscher malen ein düsteres Bild für die Zukunft unseres Planeten, wenn nicht schnell und energisch gegengesteuert wird.
Eine geringe Hoffnung die schlimmsten Auswirkungen zu vermeiden besteht noch: Es muss zu drastischen und sofortigen Einsparungen bei den CO2-Emissionen kommen.52  Bedingt durch den menschlichen Einfluss sind vier von neun planetaren Grenzen53 bereits überschritten: Klimawandel, Biodi-versität, Landnutzung und biogeochemische Kreisläufe.
Dies ist
das Fazit eines internationalen Teams von 18 Wissenschaftlern im Fachjournal Science. Zwei dieser Grenzen, nämlich Klimawandel und Artensterben, sind von entscheidender Bedeutung für das Erdsystem wie wir es kennen. Werden sie deutlich überschritten, sind irreversible Veränderungen nicht mehr zu vermeiden.54 Die bisherigen Voraussagen und Annahmen zu den Auswirkungen der anthropogenen Klimaerwärmung waren zu „optimistisch“ und die globale Erhitzung entwickelt sich weitaus drastischer – und vor allen Dingen schneller – als bisher angenommen. Um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen, verfügt die Menschheit über ein weitaus geringeres CO2-Budget als bisher angenommen.55
Aus den bisherigen Studien und Untersuchungen kann man
schlussfolgern, dass das Militär – neben der industriellen Landwirtschaft (eine der zerstörerischsten Industrien und schlimmsten Klimasünder dieses Planeten56) und den fossilen Konzernen (die Rohstoffkonzerne sind in besonders großem Umfang mit maßloser Umweltzerstörung, Kinderarbeit und Kriegen verbunden57) – weltweit der wahrscheinlich bedeutendste institutionelle Umweltverschmutzer ist.
Es ist nur logisch anzunehmen, dass
die desaströse Umweltbilanz des US-Militärs auch auf alle anderen Militärmaschinerien dieses Planeten überschrieben werden kann, nur eben nicht in diesem gigantischen Ausmaß, betrachtet man die größten globalen Rüstungshaushalte. Die USA gaben im Jahre 2018 fast so viel für militärische Rüstung aus (649 Milliarden US-Dollar) wie die nachfolgenden neun Staaten zusammen (China (250 Milliarden Dollar), Saudi-Arabien (67.6 Milliarden Dollar), Indien (66.5 Milliarden Dollar), Frankreich, (63.8 Milliarden Dollar), Russland (61.4 Milliarden Dollar), Großbritannien (50 Milliarden Dollar), Deutschland (49.5 Milliarden Dollar), Japan (46.6 Milliarden Dollar) und Südkorea (43.1 Milliarden Dollar); gesamt (698.5 Milliarden US-Dollar)).58

Konsequenterweise muss man zu dem Schluss gelangen, dass die Umweltzerstörungen durch den US-Militärapparat auch ein einzigartiges Level aufweisen und damit beträchtliche Auswirkungen auf die weltweiten THG-Emissionen haben. Selbstverständlich gilt dies für alle großen Militärnationen auf diesem Globus.
Ein bedeutender Anteil der Maßnahmen gegen den men
schengemachten Klimawandel müsste deshalb eine umfassende Abrüstung beinhalten, stattdessen geschieht genau das Gegenteil. Die neusten Zahlen von 2018 des Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI, sind ein bitteres Zeugnis dieser Tatsache.59 Die Welt muss die THG-Emissionen verringern, wenn sie noch an einer lebenswerten Zukunft interessiert ist, darüber ist sich die derzeitige multinationale Wissenschaftsforschung nahezu übereinstimmend sicher.60 Die Umweltzerstörung und das Aufheizen der Erde durch die weltweiten Militärapparate muss ebenso gestoppt werden, ansonsten gleicht der ernsthafte Versuch die THG-Emissionen zu stoppen einem Scheingefecht.
Auch in Deutschland wird die indirekt umweltgefährdende
Wirkung der Rüstung schon beim Blick auf den Bundeshaushalt unmittelbar klar: Der Rüstungshaushalt der Bundeswehr für 2019 erreicht einen neuen Rekord und steigt - nach einem geplanten Nachschlag - von circa 38,5 Milliarden auf mehr als 43,2 Milliar-den Euro.61 Damit ist für »Verteidigung« in diesem Jahr deutlich mehr Geld vorgesehen als für die Bereiche Umwelt, Gesundheit, Bildung und Forschung zusammen. Der Topf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit steigt von knapp 2 Milliarden auf knapp 2,3 Milliarden Euro.62 Das Verhältnis von Militärausgaben und dem Etat der unter anderem den Schutz der Umwelt organisiert, beträgt fast zwanzig zu eins. Dabei müsste das Verhältnis genau umgekehrt sein.Die Lippenbekenntnisse unserer Politiker zum Umweltschutz sind pure Heuchelei angesichts ihrer realen Handlungen, darüber sollte man sich keinerlei Illusionen machen.
Leider machen die Leitmedien gekonnt einen großen Bogen
um dieses heiße Eisen. Eine Treffersuche dieser bahnbrechenden Untersuchungen zeigte ein kollektives journalistisches Totschweigen. Egal ob ARD, ZDF, Deutschlandfunk & Co über SPIEGEL (Slogan: „SPIEGEL-Leser wissen weniger“), ZEIT, TAZ, FAZ, WELT, SZ (Süddeutsche Zeitung), diversen überregionalen Tageszeitungen wie FR (Frankfurter Rundschau) oder Berliner Morgenpost (unsere selbsternannten Flaggschiffe der Demokratie), bis hin zu dem absoluten Tiefpunkt des seriösen Journalismus BILD – keinerlei Treffer.  Da die notwendigen Veränderungen nicht freiwillig geschehen, muss ein organisierter, gesellschaftlich weltumspannender Druck entstehen, der von allen Schichten der Gesellschaft unterstützt und getragen wird. Nur so kann es zu ernsthaften, positiven und dringend erforderlichen Systemveränderungen kommen.
Der weltweite Protest von Extinction Rebellion, Fridays for
Future, indigener Völker, der Gelbwesten, ATTAC, zahlloser Umweltverbände wie Greenpeace u.v.a. zeigt beispielhaft, wie dieser notwendige Widerstand entstehen kann. Friedensbewegung und Umweltschutzorganisationen sollten zudem an einem Strang ziehen und eng miteinander kooperieren, denn sie alle eint derselbe Feind. Den Ruf nach einer Beendigung der Umweltzerstörung durch Militär und Kriege sollten sowohl Umweltbewegung wie auch Friedensbewegung als zentrale Forderung an die Politik adressieren.
Prof. Dr. Rainer Mausfeld hat das gegenwärtige Problem der
Mobilisierung der Massen in einem seiner Vorträge über die Verwüstungen des globalen Neoliberalismus treffend auf den Punkt gebracht:  „Dies [die politische Apathie und soziale Fragmentierung unserer Gesellschaft] sind keine Folgen zufälliger Entwicklungen, sondern Erfolge einer jahrzehntelangen, systematischen Indoktrination durch die herrschenden Eliten. Mehr als fünfzig Jahre Elitendemokratie haben uns gezeigt, wohin dieser Weg führt. Es ist der Weg der Zerstörung. Der Zerstörung von Gemeinschaft, der Zerstörung der Idee von Gemeinschaft, der millionenfachen Zerstörung von Leben, der Zerstörung von kultureller und zivilisatorischer Substanz – vor allem der Dritten Welt – und der Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen. Die Nutznießer dieser Zerstörung sehen keinen Grund ihren Weg zu ändern. Die dazu notwendige Veränderungsenergie kann nur von unten kommen – von uns.
Das ist unsere Aufgabe und das ist unsere Verantwortung.“
63 Wir sind augenblicklich Zeitzeugen, wie eine vier Milliarden Jahre alte Erdentwicklung in einer globalen Wirtschaftsmaschinerie verheizt und ausgelöscht wird. Diese »Megamaschine« erzeugt einen monströsen Überfluss an Warenschrott und produziert zugleich Unmengen von Müll. Sie häuft aberwitzigen Reichtum, massenhaftes Elend, sinnlosen Leerlauf (sog. Bullshit Jobs), Überarbeitung und permanente ökologische Zerstörung an.64  Im Ganzen gesehen repräsentieren die THG-Emissionen, die Ressourcenplünderung imperialer Kriege und die damit ein-hergehende Umweltvernichtung durch die militärischen Zerstörungsmaschinerien solch ein katastrophales Bild, dass eine Lösung der kommenden apokalyptischen Klimakatastrophe ohne Abrüstung und eine Politik des Friedens – und nicht der Eskalation – schlicht nicht vorstellbar ist. Den Profiteuren der globalen Militärgewalt muss ebenfalls das Handwerk gelegt werden, ansonsten wird sich die gesamte Menschheit in einem Alptraum ohne Erwachen wiederfinden, bis zu ihrem bitteren Ende.

 

Verkehrswende Der Pkw ist die Geißel der Menschheit. Lasst uns Straßen rückbauen, die Bahn stärken und Autokonzerne zerschlagen!

 

Wir setzen uns in eine Zeitmaschine. Surren Sie mit, hinein in die Utopie! Die Krise des Autokartells ist unsere Chance. Wir müssen in Deutschland anfangen – von hier fand das Auto, diese zerstörerische Kreatur der Moderne, seinen Weg in die Welt. 100 Millionen Menschen starben seit seiner Erfindung durch Unfall oder Kfz-bedingte Umweltverschmutzung, jährlich sind es drei Millionen, Tendenz steigend. Dies gilt es zu bekämpfen. Wir haben eine Welt zu gewinnen, wenn wir uns von den Ketten des Autowahns befreien. Folgen Sie mir in eine Welt radikaler Entschleunigung, mit kurzen Wegen für alle.

Das erfordert massive Geschwindigkeitsbegrenzungen auf allen Straßen, die Aufhebung der Vorfahrt des Kfz, Downsizing, autobefreite Städte, massiven Ausbau des Umweltverbunds von Bahn, ÖPNV, Rad und Fuß sowie basisdemokratische Bremsung des Kapitals durch Bekämpfung von Bodenspekulation und Mietwucher, außerdem die Vergesellschaftung und Zerschlagung der Autokonzerne.

Konkret bedeutet das: Tempolimits von 120 km/h (ab 2030: 100 km/h) auf der Autobahn, 80 km/h (später: 70 km/h) auf der Landstraße und 30 km/h (teils 15 km/h) innerhalb geschlossener Ortschaften. Ein solches Dreifachlimit wäre ein globaler Meilenstein. Ab 2020 werden hohe Steuern für hohe PS-Zahlen fällig. Es gibt eine Beschränkung der Länge und Breite von Privat-Pkw. SUVs erhalten Aufschläge (Super-Punishment) und dürfen in Umweltzonen nicht einfahren. Die Nullemissionsrechnung von Elektrofahrzeugen wird abgeschafft. Denn nur den Motor auf „E“ zu switchen, bringt überhaupt nichts.

Bis 2030 sind die Innenstädte autobefreit, frühere Parkplätze werden begrünt. Tiefgaragen sind abgerissen oder umgewidmet. Der Verkehrsraum steht in erster Linie den Fußgängern und Radfahrern zur Verfügung. Plätze und Straßen werden begrünt und zu Orten der Kommunikation. App-gesteuerte öffentliche Kleinbusse klauben Passagiere auf und bringen sie ans Ziel. In der Regel haben sie einen Fahrer. Autonome Fahrzeuge werden nur als öffentliche Transportmittel zugelassen.

Der Lieferverkehr geschieht mit Citylogistik mittels Lastenpedelecs, elektrischen Kleintransportern, Gütertrams und – soweit vorhanden – Güter-U- und S-Bahnen. Weitverzweigte Fußgängernetze sind barrierefrei, das heißt: an den Querungen der wenigen verbliebenen Straßen erhöht.

In der Kernstadt gelten hohe Parkkosten. Gehwegparken ist abgeschafft, der übrige Parkraum an der Straße wird stark reduziert. Ab 2030 ist die Einfahrt von Privat-Pkws in die Städte untersagt. Es gibt drei verschiedene Radwege, die alle der Autostraße abgetrotzt werden: Mischverkehr mit Fußgängern (Schrittgeschwindigkeit), drei Meter breite Radfahrstraßen (20 km/h) und Schnellwege (innerorts 30, außerhalb 50 km/h). Radler haben in der ersten Phase (bis 2030) überall Vorfahrt, danach gibt es in der Stadt nur noch öffentliche Fahrzeuge, Räder, Pedelecs und gedeckelt: E-Roller.

Tram, Bus und Bahn werden ausgebaut, bis 2040 komplett elektrifiziert (hauptsächlich mit Oberleitung). Die Bahn wird von 33.000 Kilometer auf eine Flächenbahn mit 70.000 Kilometern erweitert. Die Zahl der Bahnhöfe wird verdreifacht, nie bleibt eine Station ohne Personal.

Pkw-Pendeln wird teuer, die Bahn verbilligt, der ÖPNV fahrscheinfrei. Der Gütertransport wird real bepreist, seine Wegelänge reduziert und auf die Bahn verlagert. Geschäftswagen und Autowerbung sind verboten, ebenso wie Inlandsflüge und Motorräder (auf öffentlichen Straßen). Digitale Bremser verhindern Geschwindigkeitsüberschreitungen.

Straßen werden rückgebaut. Autobosse und Verkehrsminister werden angeklagt wegen massenhaften Totschlags. Reine Wohngebiete sind passé, die Kommunen vergesellschaften den Grund. Mieten sind gedeckelt, das Autokartell aus VW, Audi, Mercedes und BMW wird vergesellschaftet, in Betriebe des öffentlichen Verkehrs transformiert und basisdemokratisch verwaltet.

2040 legt eine durchschnittliche Bundesbürgerin damit nur noch 800 Kilometer mit dem Pkw zurück. Sie fährt fünfmal so viel Bahn und Rad, viermal so viel ÖPNV, und sie geht viermal so viel zu Fuß wie unsereins im Jahr 2019. Und doch ist sie nur noch 6.000 statt heute 14.000 Kilometer unterwegs. Die Städte kommen weltweit zu neuer Blüte, das Leben findet wieder auf der Straße, auf Plätzen und in Cafés statt.

Kinder sind von der Käfighaltung befreit und können herumstreunen. Es gibt keine fußgängerverlassenen Dörfer und Kleinstädte mehr. Alles ist ohne Dreck, Motorenlärm und Todesgefahr. Kleine Geschäfte sind überall lebensfähig, Schulen fußläufig und gefahrlos erreichbar. Mensch und Tier werden nicht mehr überfahren, die Natur atmet auf. Die Klimakatastrophe und künftige Kriege werden unwahrscheinlicher.

Manchem wird diese Aussicht unrealistisch erscheinen, anderen wird sie Angst einjagen, aber sie kann uns nur von der Angst befreien, verletzt, krank oder getötet zu werden. Also: Steigen Sie ein! Springen Sie auf! Gehen Sie voran!

Klaus Gietinger ist Drehbuchautor, Regisseur, Sozialwissenschaftler und Publizist. Gerade erschien von ihm im Westend-Verlag das Buch Vollbremsung. Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen

 

Einladung zur Buchvorstellung mit Diskussion

Von Kritik und Utopie bis hin zu aktivistischen Interventionen geben die Autor*innen einen umfassenden Überblick über die internationale Degrowth-Debatte. Postwachstum ist nicht nur eine grundlegende Kritik an der Hegemonie des Wirtschaftswachstums. Es ist auch eine Vision für eine andere Gesellschaft, die angesichts von Klimawandel und globaler Ungleichheit Pfade für grundlegende Gesellschaftsveränderung skizziert. Dieser Band macht erstmals den Versuch einer systematischen Einführung. Er diskutiert die Geschichte von Wachstum und Wirtschaftsstatistiken und rekonstruiert die zentralen Formen der Wachstumskritik: ökologische, soziale, kulturelle, Kapitalismus-, feministische, Industrialismus- sowie Süd-Nord-Kritik. Nicht zuletzt geben die Autor*innen einen Überblick zu den wichtigsten Alternativvorschlägen, -konzepten und -praktiken, die sie zugleich politisch einordnen.

Der Autor dieses Bandes, Matthias Schmelzer, stellt den Band "Degrowth/Postwachstum zur Einführung" vor und diskutiert es mit Mitgliedern der EUF: Mit Jule Govrin (Abteilung für Philosophie) und Thore Prien (Seminar für Soziologie). Die Moderation übernimmt Bernd Sommer (Norbert Elias Center, EUF). 

Wir laden Sie und euch herzlich zu diesem Abend ein!

Degrowth in der Diskussion:

Am Donnerstag, den 12. September, um 19:00 Uhr im Blauen Saal der Dänischen Zentralbibliothek, Norderstraße 59, 24393 Flensburg.

Büchertisch: Carl-von-Ossietzky-Buchhandlung

https://www.junius-verlag.de/buecher/degrowthpostwachstum

 

 

Technologie oder die CO2-Steuer lösen nicht das Klimaproblem. Der ökologische Ernstfall verlangt eine Neujustierung der persönlichen Freiheiten.

 

 

Von Nico Paech, taz, 28. 7. 2019

Was sich derzeit abspielt, entspricht jener lebensbedrohlichen Eskalation, die alle aufgeklärten Kräfte seit Jahrzehnten verhindern wollten: Der Klimawandel, die Flut an Plastik- und Elektroabfällen, das Insekten-, Singvogel- und sonstige Artensterben, die Natur- und Landschaftszerstörung, die chemische Verseuchung und Entwertung von Böden, die Strahlen- und Lärmbelastung, der Lichtsmog und so weiter. Es lässt sich kein ökologisch relevantes Handlungsfeld benennen, in dem die Summe der bekannten und neuen Schäden nicht permanent neue Rekorde erzielt hätte.

Das propagierte und bequemste aller problemlösenden Regulative, nämlich ein technischer Wandel der Versorgungssysteme, versprach ein auf ständiges Wachstum angewiesenes Wohlstandsmodell von ökologischer Zerstörung zu entkoppeln. Dieser Irrweg ist nun selbst dort gescheitert, wo akribisch versucht wird, wenigstens kleine Entlastungserfolge heraus­zurechnen, etwa bei der Energiewende. Technischer Umweltschutz war nie etwas anderes und kann nie etwas anderes sein als eine räumliche, stoffliche, zeitliche oder systemische Problem­verlagerung. It’s the thermodynamics, stupid!

Auch der zweite Hebel, nämlich eine kollektive Verständigung auf Rahmenbedingungen mit Anreiz-, Lenkungs- oder nötigenfalls Sanktionswirkung – die aktuell durchs Dorf getriebene Sau heißt CO2-Steuer – versagt vollends. Deren Befürworter haben einen epochalen Wendepunkt übersehen: Wenn nämlich die technische Entkopplung des Wohlstandes systematisch misslingt, verändern sich nicht einfach nur Ziele und Mittel einer dann noch adäquaten Nachhaltigkeitskonzeption, sondern mehr noch die Möglichkeiten einer demokratischen Regulierung des ökologischen Problems. Genauer: Sie entfallen!

Was die Energiewende politisch attraktiv werden ließ, war das Versprechen, mittels technischer Innovationen lediglich die Umrandung, aber nicht das Innere des Wohlstandskorpus umzubauen. Liebgewonnener Konsum- und Mobilitätskomfort sollte weiter bestehen und wachsen dürfen, nur eben ersetzt durch grünere Substitute mit serienmäßig eingebauter Gewissensberuhigung. Kein Wunder, dass damit Wahlen zu gewinnen waren.

Nun ist diese grüne Seifenblase geplatzt. Das bedeutet, die einzig wirksame politische Steuerung kann nur noch darin bestehen, den von der Bevölkerungsmehrheit zunehmend praktizierten ökologischen Vandalismus, sein Kosename lautet „individuelle Freiheit“, radikal einzuschränken. Dumm nur, dass dafür demokratische Mehrheiten nötig wären.

Unwahrscheinlicher als eine Begegnung mit dem Osterhasen

Im Klartext: Die Mehrheit müsste ihren eigenen Lebensstil abwählen, sich quasi um 180 Grad wenden, nämlich plötzlich befürworten, was seit dem Zweiten Weltkrieg jede gesellschaftliche Modernisierung auszumerzen versucht hat: Genügsamkeit, Selbstbegrenzung, Entsagung. Also Suffizienz. Ein solches politisches Wunder dürfte unwahrscheinlicher sein als eine Begegnung mit dem leibhaftigen Osterhasen.

Dieses Dilemma kulminiert in einer Doppelmoral, die längst zum Normalzustand geronnen ist. Einerseits dröhnt ein unüberhörbarer Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsfuror, andererseits wird mit Zähnen und Klauen eine digitale, kosmopolitische und konsumorientierte Lebensform verteidigt, die ökologisch suizidaler nicht sein könnte.

Um diese Widersprüchlichkeit zu verarbeiten, hat sich im Zusammenspiel zwischen gesellschaftlicher Mehrheit und Politikvertretern ein Zustand stabilisiert, der dem katholischen Ablasshandel ähnelt. Während sich die Lebens- und Wirtschaftsform immer nachhaltigkeitsdefizitärer entwickelt, werden zugleich – wohlgemerkt additiv – grüne Produkte (vegane, ökologische Speisen, faire Smartphones, erneuerbarer Strom etc.), Technologien (Elektromobilität, Power-to-Gas etc.) und simulierte Nachhaltigkeitsbemühungen (Verbot von Plastikstrohhalmen, Gebot von PV-Anlagen auf Neubauten etc.) befördert, die bestenfalls an der Problemoberfläche kratzen.

Oder sie ergießen sich in rituelle Forderungen, die abstrakt und unverbindlich genug sind, sodass sie einerseits nicht falsch sein können, aber andererseits ihre technische oder politische Realisierung in so unerreichbarer Ferne liegt (etwa eine CO2-neutrale Wirtschaft), dass keine absehbaren Konsequenzen für die eigene Lebensführung zu befürchten sind.

Damit erfolgt eine rein symbolische Kompensation, die das „Weiter so“ legitimiert, weil damit sowohl kognitive Dissonanzen therapiert werden können wie auch der Schein moralischer Korrektheit gewahrt bleiben kann. Dieser rasende Stillstand ebnet den Weg zum Abgrund. Er ließe sich nur mittels eines dritten Regulativs durchbrechen, das angesichts des kläglichen Scheiterns aller Technik- und Institutionenklempnerei auf einer anderen, nämlich zwischenmenschlichen Ebene verortet sein müsste. Gemeint ist eine Mischung aus reaktivierter, aber demokratischer Streitkultur und einem Aufstand der konkret Handelnden, die sich dem Steigerungswahn verweigern.

Unterschied zwischen Bedürfnissen und Dekadenz

Dieses soziale Regulativ gründet darauf, dass kein Menschenrecht auf ökologische Zerstörung bestehen kann – außer es lassen sich dafür akzeptable Gründe anführen. Aber genau das wäre dialogisch zu klären. Dies kann und darf nicht willkürlich erfolgen, sondern nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit. Hierzu bedarf es einer Unterscheidung zwischen essenziellen Bedürfnissen und spätrömischer Dekadenz. Nichts könnte so­zialpolitisch plausibler sein, als dort die dringend nötigen Reduktionen einzufordern, wo Handlungen galaxienweit von einer Befriedigung basaler Grundbedürfnisse entfernt sind. Es entspricht überdies jeder ökonomischen Logik, die knappeste aller Ressourcen, nämlich die Nutzung der Ökosphäre, zuvörderst dort einzusetzen, wo sie die eklatanteste Not lindert.

Wer wollte ernsthaft eine würdige Unterkunft, Elektrizität, notwendigen Berufsverkehr, eine Konsumausstattung, die auch maßvoll über den reinen Grundbedarf hinausreichen kann, Zugang zu maximaler Gesundheitsversorgung und Bildung sowie einen ökologisch verantwortbaren Urlaub kritisieren? Aber umgekehrt ist noch niemand erfroren, verhungert oder erkrankt, wenn er/sie keine Kreuzfahrt, keine Flugreise, keinen SUV, keine maßlose Neuanschaffung an Elektronik und anderen Konsumgütern oder keine 100 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf etc. in Anspruch nehmen konnte.

Wenn nackte Gewalt gegen die menschliche Zivilisation gerichtet wird, und zwar ohne erkennbare Not, entspricht es aufgeklärtem und durchaus liberalem Bürgersinn, dies im Rahmen direkter Kommunikation zu thematisieren, um Rechtfertigungsdruck aufzubauen. Dafür bieten sich viele Orte an: Schulen, Universitäten, Familien/Lebensgemeinschaften, Freundeskreise, Nachbarschaften, Wirtshäuser, Sportvereine, Partys, Nachbarschaften, öffentliche Veranstaltungen und natürlich die Medien. Insoweit es absehbar um die Überlebensfähigkeit geht, sollte es unter aufgeklärten Verhältnissen nötig und möglich sein, menschliche Freiheiten mit der Frage zu konfrontieren, wie sie sich gemäß einer Verhältnismäßigkeit zwischen Notwendigkeit und zerstörerischem Potenzial rechtfertigen lassen.

Einen kritischen Dialog können glaubwürdig und wirksam nur Personen initiieren, die selbst eine verantwortbare Lebensführung praktizieren. Denn ein Analphabet kann einem anderen Analphabeten nicht lesen und schreiben beibringen, und jede Kritik oder Forderung entpuppt sich als Scharlatanerie und Anmaßung, wenn sie schon im Selbstversuch desjenigen scheitert, der sie erhebt.

Obergrenze für materielle Freiheit

Eine Neujustierung individueller Freiheit bedeutet weder Ökodiktatur noch Öko-Stasi. Wenn der Planet erstens physisch begrenzt ist, zweitens industrieller Wohlstand nicht von ökologischen Schäden entkoppelt werden kann, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze der von einem einzelnen Individuum in Anspruch genommenen materiellen Freiheit existieren.

Diese kann sich nur an der Gesamtbilanz aller ökologischen Handlungsfolgen bemessen, die ein einzelnes Individuum verursacht. Längst bekannt ist, dass allein die Einhaltung des 2-Grad-Klimaschutzziels für Mitteleuropa bedeutet, dass die CO2-Emis­sio­nen pro Kopf und Jahr von ca. 12 auf ca. 2 Tonnen zu senken wären. Genau daran wäre das soziale Regulativ zu orientieren, damit es nicht auf Willkür beruht.

Wer weiter auf technologische oder politische Erlösung vertraut, steuert auf eine unvermeidliche Eskalation zu. Wenn Verteilungskonflikte entbrennen und für manche der Kampf um ein würdiges Dasein beginnt, wird sich niemand mehr für eine Demokratie einsetzen, die offenkundig am Minimum dessen gescheitert ist, was Humanität bedeutet: Überlebensfähigkeit. Wer also die Freiheit bewahren will, darf sie nicht im Übermaß beanspruchen, sondern muss sie vorsorglich und freiwillig begrenzen.

Die hierzu nötige Suffizienz erweitert aber auch Handlungsfreiheiten, weil sie sich behindernder materieller sowie institutioneller Vorbedingungen entledigt. Ballast abzuwerfen, sich dem Steigerungswahn zu entziehen, verführerische Komfortangebote auch dann einfach links liegen zu lassen, wenn sie finanzierbar und legal sind, das Vorhandene als auskömmlich zu betrachten und gegen aufdringlichen Fortschritt zu verteidigen, gemeinsam mit anderen den Mut zum Unzeitgemäßen entwickeln – dies alles kostet nichts, bedarf keiner innovativen Erfindung, ist nicht von Mehrheiten abhängig, verstößt gegen kein Gesetz und benötigt vor allem keines. Ein friedlicher und fröhlicher Aufstand der sich Verweigernden – besser noch: ein maßvoller Wohlstands- und Technologieboykott – verbleibt als letzter Ausweg. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.