Die G20 Beschlüsse zu Afrika sind neo-kolonial und paternalistisch. Sie verschärfen eher die Probleme noch.

Von Robert Kappel, Helmut Reisen |

 

Die aufgewühlten Tage in Hamburg sind vorbei und es ist die Zeit zu fragen, was im Sieb bleibt. In den brisanten Diskussionen der G20 um eine geeinte Klimapolitik, einen Kompromiss in der Handelspolitik und verbesserte Maßnahmen im Kampf gegen den Terror verschwand schließlich die Agenda der G20 für einen Compact with Africa (CWA) fast vollständig. Bezeichnend für das selbst-referentielle System der G20 und deren Agenden, die sich eher um Finanzen und Handel als um die großen Herausforderungen des afrikanischen Kontinents drehen. Mal wieder eine weitgehend verpasste Chance, die so schnell nicht wieder kommen wird. Nicht zuletzt ist dies auf das vollkommen unempathische Verhalten der USA, der EU, Japans, Indiens und letztendlich auch Chinas zurückzuführen. So bleibt am Ende der Eindruck: Der Club der Reichen kümmert sich nur randständig um Unterentwicklung und Integration der afrikanischen Länder in die Weltwirtschaft.

 

Der CWA, der im Vorwege von den G20 Finanzministern abgestimmt und nach Fertigstellung auch mit einigen afrikanischen Ländern beraten wurde, fand die Zustimmung der G20. Der CWA verdient aber seinen Titel nicht wirklich. Er ist aus zwei Gründen kein Vertrag mit Afrika. Zunächst hat das einzige afrikanische G20-Mitgliedsland Südafrika die anderen afrikanischen Länder nicht vertreten, die Afrikanische Union war ein nur spät geladener Gast und an der Formulierung des CWA waren afrikanische Länder nicht beteiligt. Sie waren auf der Bühne als Statisten kaum erkennbar. Und dann: der CWA ist ein Dokument, das die Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten mit Auslandsdirektinvestitionen verbindet, in dem die afrikanische Interessen nicht wirklich zum Ausdruck kommen.

 

Die Finanzminister der G20 dominierten. Sie fragen sich vor allem, wie sie das Kapital lockermachen können, das gebraucht wird, um Großprojekte zu finanzieren. Es geht um enorme Summen: Man schätzt, dass jährlich 100 Milliarden Dollar investiert werden müssten, und zwar zehn bis 15 Jahre lang, damit die Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent ungefähr auf den Stand von Südostasien kommt. Nur um die wesentlichen Dinge auszubauen, also Elektrizität, Straßen, Wasserverbindungen, das urbane Transportsystem und den Transport auf dem Land, Häfen und Flughäfen.

 

Weil öffentliche Entwicklungszusammenarbeit das nicht stemmen kann, sucht man nun private Investoren, die ihr Geld langfristig anlegen möchten: Pensionsfonds zum Beispiel und Lebensversicherer. Diese aber werden nur in Afrika investieren, wenn sie eine bestimmte Rendite vergleichsweise sicher in Aussicht haben. In den armen Ländern können sie diese nicht erwarten, also müssen Subventionen und Absicherungen her. Die Dokumente des CWA zeigen, dass den Investoren eine Verzinsung von 4 bis 4,5 Prozent garantiert werden soll. In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum CWA vom Mai 2017 haben die Autoren die wesentlichen Bausteine analysiert und kritisiert. Das Ergebnis fällt nicht gerade positiv aus. Zwar ist das CWA Konzept durchaus konsistent, es argumentiert gradlinig, enthält einige wichtige Kernaussagen zur Effizienz, zu Management von Großprojekten und zu einer möglichen Verschuldung, aber letztendlich ist CWA überraschenderweise eine Neuauflage von Big Push (der „große Sprung“) – das heißt über Großinvestitionen in die Infrastruktur kann Afrika endlich den Aufstieg schaffen. Von diesem Sprung war schön öfter in Afrika die Rede. Und der CWA ist letztendlich eine Neufassung von Stabilisierungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen. Die weitgehend belastenden Strukturanpassungsprogramme der 1990er Jahre lassen grüßen.

 

Der makroökonomische Rahmen ist vom neoliberalen Washington-Konsensus geprägt, den man bereits lange überwunden glaubte.

 

Im Mittelpunkt des CWA stehen eine Reihe von Finanzierungsinstrumenten, die privates Kapital hebeln oder zur Risikoabsicherung beitragen. Die Idee klingt gut, ist aber nicht neu. Und sie verharmlost die potenziellen Nebenwirkungen und Barrieren, die einer privaten Kofinanzierung gerade dort entgegenstehen, wo in Zukunft die Armut bleibt und der größte Migrationsdruck zu befürchten ist: in Afrikas Sahelzone und in den armen und Krisen- und Konfliktländern.

 

Die Blaupause für den Compact kam vom Währungsfonds, der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank. Das Bundesfinanzministerium hat sein ganzes Gewicht, auch das des Ministers, hinter diese Blaupause geworfen. Da erstaunt es nicht, dass der Compact unter ideologischer Schlagseite leidet:

 

Der makroökonomische Rahmen ist vom neoliberalen Washington-Konsensus geprägt, den man bereits lange überwunden glaubte: Fiskaldisziplin, Kapitalverkehrsöffnung, Privatisierung und Deregulierung. Da ist kein Platz für differenzierte Empfehlungen, welche die spezifischen Besonderheiten Afrikas berücksichtigen. Ob Schwellenland oder konfliktgeprägtes Armutshaus, Rohstoffausfuhr-  oder  Einfuhrland; Küsten- oder Binnenstaat; West- oder Ostafrika; überschuldet oder nicht: Es werden keine Unterschiede gemacht.

 

Der CWA ist geprägt vom angelsächsischen Finanzmodell, dessen Achse Anleihen und Aktien sind. Im Gegensatz dazu finanzierten Ostasien und Kontinentaleuropa ihr erfolgreiches Entwicklungsmodell durch zurückbehaltene Unternehmensgewinne, durch Unternehmenskredite der Geschäftsbanken und für öffentliche Investitionen verwandte Steuern und Zwangsabgaben. Davon keine Spur im Compact.

 

Die Entwicklungsrolle des öffentlichen Sektors wird weitgehend ignoriert; das Heil soll von den privaten Financiers kommen. Die Bedeutung nationaler Entwicklungsbanken für den Mittelstand, staatlicher Pensionskassen und ruraler Kreditgenossenschaften zur Bekämpfung ländlicher Armut finden keine Erwähnung.

 

Das Ganze nur ist ein Stück(werk). Eine Art Schrotflinten-Ansatz. Man pumpt Geld rein, fordert Managementreformen ein und dann soll ein sich selbst entwickelnder Prozess in Gang kommen.

 

Ignoriert werden im CWA auch die Verbindungen zwischen der Entwicklung der Infrastruktur und der Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft. Hier mangelt es einem ausgearbeiteten Konzept für die industrielle Entwicklung, für die Modernisierung der Landwirtschaft und der dafür erforderlichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Es mangelt vor allem an einer Kenntnis der unterschiedlichen Entwicklungen nach Mittel- und Niedrigeinkommensländern, die von sehr unterschiedlichen Ausgangslagen der Klein- und Mittelbetriebe aus agieren müssen. Und noch etwas wird ignoriert: welche Dynamik kann Industrieentwicklung in urbanen Zentren nehmen und wie können die Verbindungen zum agrarischen Sektor organisiert werden? Das Ganze nur ist ein Stück(werk). Eine Art Schrotflinten-Ansatz. Man pumpt Geld rein, fordert Managementreformen ein und dann soll der Aufschwung durch die Infrastrukturinvestitionen wie ein sich selbst entwickelnder Prozess in Gang kommen. Welch‘ eine Illusion.

 

Ausgeklammert werden in dem CWA auch die Fragen von Standards (Arbeitsnormen, beschäftigungswirksame Investitionen, Umwelt) und die Rolle der Ausbildung, um Wirtschaftsdynamiken hervorzurufen. Gerade hier hätte die deutsche Seite eine Menge einzubringen, seien es die EZ-Organisationen und das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das besonders viel Wert auf berufliche Bildung legt.

 

So diktierten die G20-Finanzminister die Agenda und die Bundesregierung vergab sich die Chance, die Erfahrungen der afrikanischen Länder, ihre Strategiepapiere, ihre Expertise und ihre wirtschaftspolitischen Konzepte mit in den Diskurs einzubringen. Und eine zweite Chance wurde vertan. Deutschland hätte auf dem Gipfel ein neues Kooperationsmodell mit Afrika vorstellen und aktiv dafür werben können. Das wäre durchaus leicht und von afrikanischen Staaten wünschbar gewesen. Viele afrikanische Regierungen waren in den letzten Monaten in Berlin, haben mit verschiedenen Ministerien, mit der Zivilgesellschaft, Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und den Parteien im Bundestag beraten, wie ein neues Modell der Zusammenarbeit geschmiedet werden kann. Zahlreiche auf einzelne Themen zugeschnittene Foren haben Vorschläge unterbreitet. Und die verschiedenen deutschen Ministerien legten ebenfalls – leider nicht gut koordinierte – Pläne vor. Dazu gehören beispielsweise der Marshallplan mit Afrika des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), auch ein Dokument, das nicht mit den afrikanischen Regierungen beraten wurde. Dennoch hätte dieser Plan eine Rolle auf dem Treffen der führenden Wirtschaftsnationen spielen können, denn er enthält zahlreiche gut durchdachte konzeptionelle Überlegungen zur Armutsbekämpfung. Auch die Überlegungen von  „Pro!Afrika“ des Bundeswirtschaftsministeriums, und schließlich noch im Juni 2017 „Wirtschaftliche Entwicklung Afrikas – Herausforderungen und Optionen“ der Bundesregierung hätten in den Verhandlungsprozess eingebracht werden können. Es gab auch genügend Vorlauf, um gemeinsam mit den afrikanischen Institutionen neue Ansätze zur Industrieentwicklung oder zur Finanzierung von Investitionen zu präsentieren. Armuts- und Klimakatastrophen hätten thematisiert und berücksichtigt werden müssen, um einer nachhaltigen und inklusiven Entwicklung in Afrika neuen Schub zu geben und damit zwischen G20 und Afrika eine Periode der post-kolonialen Kooperation in Gang zu setzen. Leider blockierten die G20 diese Öffnung und deutsche Ideen, die näher an den Problemen des afrikanischen Kontinents dran waren, kamen nicht zur Geltung. Natürlich will niemand, dass die Welt am deutschen Wesen genese, aber sich den Diktaten der Finanzminister, des IWF und der Weltbank zu unterwerfen, ist kein Ausdruck von Souveränität sondern eher von Hasenfüßigkeit.

 

Man überlasse nie den Finanzministern die Konzeption für Fragen, von denen sie in der Regel nicht viel verstehen.

 

So steht das CWA Abschlussdokument losgelöst von den brennenden Problemen Afrikas, es enthält keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut, der hohen Arbeitslosigkeit, der Klimakatastrophe in weiten Teilen Afrikas und der Entwicklung. Den CWA durchwehen die alten „große Sprung“-Konzepte und Finanzierungsfragen. Ein Plan für die Finanzierer und Investoren der G20 aber kein Plan für die Bewältigung der größten Probleme Afrikas. Im Gegenteil, durch den CWA werden möglicherweise zwei Effekte auftreten: die Nichtberücksichtigung der armen Länder und die weitere Marginalisierung des ländlichen und armen Afrikas. Keine guten Aussichten und ganz im Gegensatz zur Haltung der Bundesregierung. So hat die G20 einen Plan verabschiedet, der den verschiedenen Entwicklungen in Afrika nicht Rechnung trägt, die armen Länder eher noch weiter abkoppelt und aufgrund ihrer Konzeption nicht in der Lage ist, Afrikas Entwicklung zu unterstützen. Die G20 Chefs blieben, was die Kooperation mit Afrika betrifft, erstaunlich beratungsresistent und einem veralteten Modell der Steuerung der Prozesse in Afrika verhaftet, neo-kolonial und paternalistisch. Das ist eher problemverschärfend als -lösend. Dass die afrikanischen Länder dies Modell nicht länger mitmachen werden – wen wundert es.

 

So gilt es jetzt in Deutschland die Wunden zu lecken und einen Neuanfang zu wagen. Die nächste Chance bietet sich im Herbst, wenn es um die Verhandlungen zur Neuauflage des Cotonou-Abkommens geht. Hoffentlich nicht paternalistisch und mit der Schrotflinte in der Hand. Und hoffentlich pro-aktiv mit überzeugenden Ideen, wie die komplexen Handelsfragen gelöst werden können. Konsequenz: man überlasse nie den Finanzministern die Konzeption für Fragen, von denen sie in der Regel nicht viel verstehen: Entwicklung, Armutsbekämpfung, Industrialisierung, Agrarmodernisierung und Beschäftigung.

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